wiki:1985_reisebericht_sudan
Unterschiede
Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen der Seite angezeigt.
Beide Seiten, vorherige ÜberarbeitungVorherige ÜberarbeitungNächste Überarbeitung | Vorherige Überarbeitung | ||
wiki:1985_reisebericht_sudan [2025/09/17 04:22] – gelöscht - Externe Bearbeitung (Datum unbekannt) 127.0.0.1 | wiki:1985_reisebericht_sudan [2025/09/17 04:22] (aktuell) – norbert | ||
---|---|---|---|
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
+ | ====== Durch die Libysche Wüste mit einem Faun ====== | ||
+ | |||
+ | Ein Reisebericht von [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Das ganze Jahr über hatte ich Reisepläne entworfen, Details geplant: Nach Schwarzafrika sollte es gehen, ohne Frage. Auch die Wüste wollte ich erleben, intensiv und tagelang, und den Dschungel kennenlernen. Die arabischen Länder dagegen lagen mir fern, ihr Lebensstil war mir zu laut, zu schrill. Eine Route durch Tunesien, Algerien, Niger zur westafrikanischen Küste war ausgearbeitet, | ||
+ | |||
+ | Genau das war schon auf früheren Reisen mein Traum gewesen: Routen, Rastplätze und [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Einige dieser Länder kannte ich von früheren Reisen, war schon einmal dort gewesen mit dem [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Afrika aber bedeutet für mich Natur, wild und unerschlossen: | ||
+ | |||
+ | Ich fliehe die Städte, weil sie meine Augen, meine Nase, meine Ohren beleidigen, sie sind kaum zu ertragen. Raus an den Fluß, in die Wüste, auf die Berge - die absolute Stille aufnehmen, im Licht der Sterne tagträumen, | ||
+ | |||
+ | Nun habe ich den ersten Schritt getan auf einem Weg, an dessen Ende ich mich entscheiden muß: soll die Lust aufs Abenteurer, das unbändige Reisen mein Leben erfüllen oder werde ich neue Möglichkeiten im Gewohnten entdecken? | ||
+ | |||
+ | ==== Aufbruch ==== | ||
+ | Köln verlasse ich zwei Monate später an einem sonnigen Morgen Anfang November im Zug nach Athen, von Bahnsteig 2. Ich liebe diesen Bahnhof aus erblindetem Glas und rostigem Stahl - er birst von Leben - selbst nachts, selbst an Sonntagen. Dies ist ein Ort, an dem eine Reise beginnen kann - er entläßt mich freudig und gern; doch ich freue mich auf ein Wiedersehen. | ||
+ | |||
+ | Das Abteil teile ich mit einem Griechen, der selbstversunken vor sich hin schweigt, und einer jugoslawischen Mazedonierin, | ||
+ | |||
+ | 36 Stunden, Verspätung inclusive: das Rattern der Räder sinkt ab ins Unbewußte, durchzieht Wachen und Schlafen. Die kalte, klare Novemberluft, | ||
+ | |||
+ | Das Abteil nimmt unseren Geruch an, wird voller. Schafskäse, | ||
+ | |||
+ | 56 Stunden: Zeit, zu überlegen, wohin die Reise führt. Das Reisen der Anderen steckt an, der Unruhe-Virus breitet sich aus; im [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Die Reise soll mir ein Spiegel sein; ein Teil meiner Erinnerungen wird sich im Tagebuch wiederfinden - Fotos sagen mir wenig. Selbst unbeschrieben ist das Tagebuch die Summe meiner bisherigen Beschäftigung mit Büchern; es steht für alle Bücher, die ich gerne gelesen habe, für mein Examen, meinen Beruf, es ist die Nabelschnur zur Heimat. Auf dieser Reise wird es einen Zweikampf führen müssen mit den niedergeschriebenen Erinnerungen und Erlebnissen: | ||
+ | |||
+ | KEINE PANIK - zwei Worte leiten mein Tagebuch ein, rot und dick und groß füllen sie die erste Seite. Eingeschlagen in derb-braunes Rindsleder, selbst gebunden und handgenäht, | ||
+ | |||
+ | KEINE PANIK - das sollte mein Pol der Ruhe während etlicher Monate der Bewegung sein, außerhalb der Routine, bar alles Gewohnten: Das Schneckengehäuse des Alltags abgestreift und ausgesetzt dem Unbekannten eines fremden Kontinents. Es sollte mich daran erinnern, Besonnenheit zu üben und das Meine zu tun. | ||
+ | |||
+ | Ironie schwingt darin mit und stellt das ganze Unternehmen in Frage: Ja, besteht denn überhaupt Anlaß zur Panik? Könnte es geschehen, daß …? Ach wo, beruhige ich mich, schließlich wohnen Millionen Menschen in den afrikanischen Ländern, empfinden Busch, Wüste, Dschungel als Heimat, lieben und lachen, essen und trinken, und da komme ich, ein Fremder; mische mich ein in ihren Alltag, erzeuge Unruhe und Besorgnis, wecke Hoffnungen, Ängste, äußere Wünsche und stelle Erwartungen, | ||
+ | |||
+ | Was kann mir denn schon dabei passieren? Ich habe nichts zu verlieren; wenn ich heimkehre, besitze ich nichts mehr: Meine Wohnung habe ich aufgegeben, die Möbel verschenkt, meine Bücher liegen in Kisten verpackt in einem Keller. Das Studium ist abgeschlossen, | ||
+ | |||
+ | Mein Schneckenhaus ist nun der [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt, sagt '' | ||
+ | |||
+ | Nun ist die Luft lau, ich habe ein T-Shirt an, das bald schwarz ist vom Smog über der Akropolis. Menschen, Sprache, [[wiki: | ||
+ | |||
+ | ==== In Ägypten ==== | ||
+ | Zwei Tage später sitze ich im Flugzeug nach Kairo: Der zweite, größere Schritt. Drei Wochen habe ich jetzt Zeit, dann werde ich zum Hauptpostamt am //Midan al-Ataba al-Chadra// gehen und nach Post fragen. Dort wird dann ein Brief liegen, der den Beginn meiner bisher abenteuerlichsten Reise markiert, und ich werde den Ort erfahren, an dem sich unsere bunt gewürfelte Gruppe zur Abfahrt trifft. | ||
+ | |||
+ | Kairo war Treffpunkt für die Gruppe, dort führten unsere Wege zusammen; die Teilnehmer kannte ich aus verschiedenen Treffen flüchtig: Unsere Jüngste war '' | ||
+ | |||
+ | '' | ||
+ | |||
+ | '' | ||
+ | |||
+ | Fünfzehn Leute hatten sich so gefunden und einen Großteil ihrer Ersparnisse zusammengelegt zum Kauf des FAUN: Er war ein plattschnäuziges, | ||
+ | |||
+ | Unter der grünen, halbtonnenförmigen Plane verbargen sich Ende November vermummt und frierend zehn der Reisenden und begaben sich nach Venedig, zur Einschiffung auf die Fähre nach Alexandria. Sturm, hoher Seegang und kalter Wind machten die Anreise zu einer Strapaze, alle Gedanken waren auf das warme Afrika gerichtet. In Alexandria angekommen, wurde das deutsche Zollkennzeichen gegen ein ägyptisches ausgetauscht: | ||
+ | |||
+ | Dorthin waren auch die übrigen fünf Reisenden unterwegs. '' | ||
+ | |||
+ | Eine Woche badeten und tauchten wir im Roten Meer; in der Nähe von //Sharm el Sheik// gibt es einsame [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Ausgedehnte [[wiki: | ||
+ | |||
+ | In der letzten Woche brachen wir auf zum //Dschebel Musa//, dem Berg Moses, an dessen Fuß das älteste christliche Kloster, das Katharinenkloster, | ||
+ | |||
+ | Hier verbrachten wir eine ruhige Nacht, erwachten noch vor der Dämmerung und erreichten die Kapelle auf dem Gipfel noch vor den Touristengruppen, | ||
+ | |||
+ | Kein Wunder, schoß es mir durch den Kopf, daß dieser Berg schon in vorchristlicher Zeit heilig war, dieser Anblick allein kann Erleuchtung sein; und die Zehn Gebote hat Moses sicher hier bekommen — schließlich liegt einem die ganze Welt zu Füßen. | ||
+ | |||
+ | Der Abstieg ging in die Knochen, 3000 harte Stöße mußten die Knie abfangen und erholten sich nur langsam auf dem drei Kilometer langen Weg vom Kloster zu dem kleinen Dorf am Ende der Straße; wir blieben über Nacht und nahmen am nächsten Morgen den Bus nach Kairo. Es tat mir leid, die Sinai-Halbinsel zu verlassen - sie zählt zu den schönsten Gegenden, die ich bisher gesehen habe. Licht, Farbe, die ganze Atmosphäre des Sinai strahlt eine gewaltige Ruhe aus, eine Zeitlosigkeit, | ||
+ | |||
+ | Die Ruhe und Weltabgeschiedenheit wich schnell. Kaum erreichten wir die Straße nach Suez entlang der Küste des Golfes, wechselten die Düfte verschiedener Industrien ab mit Paßkontrollen durch Militärposten, | ||
+ | |||
+ | Mir wurde deutlich, daß Ägypten auch eine moderne Geschichte hat, Menschen, die heute leiden und Kämpfe austragen - Pharaonen, Pyramiden und 5000 Jahre Kultur sind dafür nur Voraussetzung. Von all dem ist Kairo voll: Ob 10 oder 12 oder 14 Millionen Menschen hier leben, weiß wohl niemand. | ||
+ | |||
+ | Acht Tage Aufenthalt sind nicht zuviel für Kairo oder //El Qahira//, die Siegreiche, wohl aber für den Reisenden. Denn wer nicht in einem der First-Class-Hotels wohnen kann, im Hilton, Sheraton, Meridien oder wie sie alle heißen, und sich nicht hin und wieder in eine dieser Oasen der Ruhe zurückziehen kann, der ist 24 Stunden täglich dem Lärm, dem Staub, der Hitze dieser Stadt ausgesetzt. Kairo ist ein Erlebnis für einen Tag — jede Stunde mehr bedeutet wachsenden Streß. Kairo erwacht, wenn sich in der Morgendämmerung ein weißer von einem schwarzen Faden unterscheiden läßt. Dann nämlich ist die Zeit des ersten Gebets gekommen und von 1000 Minaretts ertönt der Ruf des Muezzin: »Allahu akbar - Gott ist groß, und Mohammed ist sein Prophet.“ Scheppernd schallt und krächzt es aus Tausenden von Megaphonen, die den eigentlich melodischen Gesang verfremden. Dann füllen sich schnell die Straßen: Überfüllte Busse, Türöffnungen, | ||
+ | |||
+ | ==== Die Wüste ==== | ||
+ | Am 10. Dezember trafen wir zufällig einige unserer künftigen Reisekameraden im //Chan Al Chalili//, dem größten Bazar Kairos. Das abgesprochene System des Nachrichtenaustausches hatte nicht funktioniert. Großes Hallo und Wie gehts und Was gibts Neues in Deutschland. Wir tranken einen Kef zusammen und verabredeten uns für den nächsten Tag in Gizeh, bei den Pyramiden. | ||
+ | |||
+ | Am Sonntagnachmittag, | ||
+ | |||
+ | Die Brücke, auf der wir bei Beni Suef den Nil überqueren wollten, existierte nicht. Dies war nur der Anfang. In den nächsten Wochen blieb kein Tag ohne Enttäuschung. Vorerst konnte noch einige Tage relaxt werden: Von der Töpferstadt Quena, 642 Kilometer südlich von Kairo, nahmen wir die breite Asphaltstraße nach Port Safaga am Roten Meer, fuhren dann weiter südlich bis //Marsa Alama//, dem südlichsten für Touristen erlaubten Ort, und genossen das Meer und die warme Sonne. | ||
+ | |||
+ | Erfahrungen wurden ausgetauscht. Wünsche geäußert und Erwartungen beschrieben — war es doch das erste Mal, daß die Gruppe vollständig zusammen war. Auf der riesigen Ladefläche stapelten sich fünf Ersatzreifen, | ||
+ | |||
+ | Pläne wurden gewälzt, jeder hatte noch Ideen für weitere Besorgungen, | ||
+ | |||
+ | Drei Tage Strand waren dann auch genug, alle fieberten der Wüste entgegen. Auf dem Weg zum vereinbarten Treffpunkt nahmen wir uns nur wenig Zeit für die Sehenswürdigkeiten Ägyptens; einige von uns kannten sie von früheren Reisen, wollten Neues sehen, die Wüste. Das brachte erste Auseinandersetzungen: | ||
+ | |||
+ | Einen halben Tag dauerte allein das Tanken: 1800 Liter Diesel wurden in die Fässer gefüllt, 200 Liter Motorenöl sollten den Motor schmieren. Den Markt in Luxor überfielen wir wie Heuschrecken: | ||
+ | |||
+ | Als wir fertig waren stellten wir fest. daß der Wagen falsch beladen war, das Gewicht lag zu weit hinten, nun mußte umgebaut werden. 10 Tonnen Ladung wurden bewegt und gesichert, denn selbst die schweren Tonnen heben bei einem Schlagloch ab und machen sich selbständig. Mit Seilen, Drähten, Eisenwinkeln, | ||
+ | |||
+ | Am 23. Dezember verließen wir die Asphaltstraße, | ||
+ | |||
+ | Die ersten Schritte auf einem uralten Karawanenweg waren getan. //Darb el Arbain//, die Straße der 40 Tage, war eine der großen Verbindungwege durch die Sahara, zwischen dem schwarzen und dem arabischen Afrika. Schneller als in 40 Tagen war die Strecke vom sudanesischen El Fasher über eine Kette von Oasen bis nach Asiut am Nil nicht zu schaffen. Insgesamt 1800 Kilometer Wüste mußten Menschen und Tiere ertragen, bei eiserner Karawanendisziplin: | ||
+ | |||
+ | Seit Beginn dieses Jahrhunderts gibt es keine große Karawanen mehr, nur selten fahren geländegängige Lkw, meist mit militärischem Auftrag. Häufiger noch werden Kamelherden aus dem Sudan zum Schlachten nach Ägypten geschmuggelt. Hin und wieder werden sie gefaßt, müssen zwei oder drei Tage sichtbar vor der Autorität des Militärs zittern und kaufen sich schließlich mit einigen Kamelen frei. | ||
+ | |||
+ | Die Spuren der alten Reisenden zeigen auch heute noch den Pistenverlauf an: Zahllose, von der Sonne gebleichte Kamelgerippe, | ||
+ | |||
+ | In den Zwanziger und Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts gelangten erstmals Expeditionen hierher: 1925 '' | ||
+ | |||
+ | Selbst genügsame Tiere: Schlangen, Skorpione, Käfer … sind in diesem Teil der Sahara selten, hin und wieder sahen wir ihre Spuren im Sand; größere Tiere bekamen wir niemals zu sehen. Nicht einmal trockenes Gras fanden wir. Wasservorkommen beschränken sich auf wenige Brunnen, die meist als Militärstützpunkte dienen. Im Winter aber ist es in dieser Wüste erheblich kühler als in anderen Jahreszeiten, | ||
+ | |||
+ | Felsige Erhebungen, nur einige hundert Meter hoch, lassen die Berge erahnen, die Hitze und Kälte und Wind im Laufe von Jahrtausenden zerrieben haben. Bizarre Steinformationen und Farbkontraste verschiedener Gesteinsarten charakterisieren die Wüstengebiete: | ||
+ | |||
+ | Während der Hitze eines Mittags lassen Luftspiegelungen sie am Horizont schweben, scheinbar ohne Kontakt zur Erde. Überwältigend und kaum vorstellbar angesichts des Lebens im dichtbesiedelten Europa ist das Gefühl der völligen Stille und Einsamkeit: Kein Tierlaut, nicht einmal Wasser- oder Blätterrauschen, | ||
+ | |||
+ | Auch das Gesehene gewinnt an Tiefe, ich erlebe es neu in der Monotonie der Sandwüste: Schon ein einzelner Stein oder ein Kamelknochen ist ein Ereignis in der Gleichförmigkeit des gerippten Sandes, Grund genug zur Richtungsänderung und zur näheren Betrachtung. Entfernungen zu schätzen, wurde mir unmöglich: oft wurden Felsstücke, | ||
+ | |||
+ | Der Darb ei Arba’in wollen wir in weitem Abstand folgen, aus Furcht vor Kontrollen. So schlagen wir einen weiten Bogen durch die Wüste, [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Heilig Abend: Das erste Erwachen in der Wüste ist begleitet vom kalten Wind, der es mir schwer macht, den Daunenschlafsack zu verlassen. Wer zuerst wach ist, kocht Kaffee. Heißer Kaffee ist an diesen Morgen das Wichtigste. 93 Kilometer zeigt der Tacho nachmittags an; die Konvoipartner sind schon lange nicht mehr in Sicht, den ganzen Tag sind wir ihren Spuren gefolgt. Die Gegend ist felsig, unübersichtlich, | ||
+ | |||
+ | Noch sind die Spuren unserer Partner eindeutig: Auch sie hatten zu kämpfen - wir sehen tiefe Löcher, es wurde geschaufelt. Schleifspuren der Sandbleche führen bis auf festen Untergrund und wurden dort wieder verladen. Der Wüstenboden hat ein gutes Gedächtnis. | ||
+ | |||
+ | Um vier machen wir Schluß. In zwei Stunden geht die Sonne unter, dann wird es sofort dunkel, ohne Dämmerung. Bis dahin haben wir Zeit, es uns gemütlich zu machen: Ein Zelt aufzuschlagen oder uns hinter Kisten in den weichen Boden einzugraben, | ||
+ | |||
+ | Heilig Abend: In Deutschland wird Weihnachten gefeiert, mehr oder weniger gleich bei all unseren Verwandten. Aus Eiern, Milchpulver, | ||
+ | |||
+ | Sonntag mittag fahren wir weiter, nach sechs Kilometern treffen wir auf das Camp unserer Konvoipartner. Wir bleiben heute in diesem Camp und besprechen abends den weiteren Weg. Dabei orientieren wir uns an Gerüchten, Vermutungen, | ||
+ | |||
+ | Montag morgen stehen wir um fünf Uhr auf, damit wir um acht fahrbereit sind, schneller geht es wohl nicht mit so vielen Leuten. Wir schaffen 71 km und überqueren am Nachmittag eine markierte Route, breit und voller Spuren. Um Entfernung zu dieser Piste zu bekommen, schwenken wir dienstags auf Kurs West und halten uns erst nach 30 Kilometern wieder südlich. | ||
+ | |||
+ | Unser Erstaunen ist unglaublich, | ||
+ | |||
+ | Erschreckt fahren wir weiter bis zur völligen Dunkelheit und halten erst, als wir die Spuren der Konvoipartner nicht mehr erkennen können. Die Geräusche und Lichter von drei Autos vernehmen wir in dieser Nacht auf der Asphaltstraße. Aus Angst, erwischt zu werden, bleiben wir den ganzen Abend im Dunkeln, Taschenlampen und Petromax bleiben außer Betrieb, der Feuerschein des Kochers wird abgeschirmt. | ||
+ | |||
+ | ==== Allein ==== | ||
+ | Ich erlebe in dieser Nacht erstmals den Schrecken der Wüste, als ich, den Wagenspuren unserer Konvoipartner folgend, in die Wüste hinausgehe. Nur mit den Füßen kann ich die Spuren im Sand tasten, sehen kann ich sie nicht. Es ist Neumond, unterhalb des Horizonts herrscht einheitliches Schwarz, den Hügel vor mir erkenne ich nur als schwarzes Loch ohne Sterne, Eine Stunde vielleicht folge ich den Spuren, der Boden wird langsam fester, Sand weicht Stein, dann kann ich die Spuren vom Untergrund nicht mehr unterscheiden. Nur noch einige Meter trennen mich von der Hügelkuppe, | ||
+ | |||
+ | Im Laufe der [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Zwar weiß ich noch nicht wie, aber ich werde meinen Sinnen eine * [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Morgens fuhren wir früh wieder los und trafen unsere Konvoipartner nur acht Kilomter entfernt. Sie wollen jetzt strikt 210° halten, das ist Südsüdwest, | ||
+ | |||
+ | Am Donnerstag verzeichnet das Tagebuch: In acht Stunden auf 220° fuhren wir 25 Kilometer, wir verbrauchten 150 Liter Diesel. Bei dieser Reisegeschwindigkeit gehen viele zu Fuß, der Lkw gräbt sich hinterher. Einzige Abwechslung sind hin und wieder Reifenspuren, | ||
+ | |||
+ | Ebenso wie ich meiden auch einige andere auf diese Weise die Auseinandersetzung mit dem Kriechgang des Faun, der sich mit zwei Stundenkilometern im ersten Geländegang durch den Sand gräbt und uns nur selten überholt, wenn der Untergrund etwas fester wird, um nach wenigen hundert Metern wieder einzusinken. Auf dem Wagen könnte ich das nicht ertragen, auch Manfred, der meistens fährt, läßt den Druck hin und wieder unter lauter Flucherei ab. Jeder dürfte jetzt fahren, keiner will. In der Ladefläche sind bereits einzelne Bohlen gebrochen: 10 Tonnen Ladung werden ständig in die Höhe geschleudert und fallen wieder auf die gleiche Stelle. Die Belastung ist auch für den Wagen enorm. | ||
+ | |||
+ | Freitag, 30. 12.: 35 km. Richtung 220°. Eine Dünenkette verschwindet im Laufe des Tages am Horizont hinter uns, eine neue wird im Südwesten sichtbar. Zum ersten Mal müssen wir tagsüber nachtanken - 200 Liter Diesel haben nicht ausgereicht. Es werden ständig Witze über den vielen Sand und die Belebung des ägyptischen Dieselabsatzes durch unseren FAUN ausgetauscht. | ||
+ | |||
+ | Der zweite Samstag in der Wüse: 41 km, Richtung 210° - 220°. Die Ebene verläuft jetzt in schwachen Wellen, gerade hoch genug, um nicht weiter als bis zur nächsten Welle schauen zu können. Hin und wieder läuft jemand vor: Das Gefühl wird stärker, daß hinter der nächsten Welle etwas Neues erscheinen muß. Das Gefühl täuscht jedes Mal. Wir werden matt und schlaff, hin und wieder flippt jemand aus, ist genervt. | ||
+ | |||
+ | Neujahr. Neun Flaschen Rotwein, die noch von Weihnachten übrig waren, sind jetzt auch leer. Wir fahren bis zu einem markanten Hügel, dem ersten seit langer Zeit, der im Südwesten sichtbar geworden ist. Den vierten Tag folgen wir nun den Spuren unserer Konvoipartner ohne auf Anzeichen eines Camps gestoßen zu sein; ihr Vorsprung muß riesengroß sein. Wir vermuten uns mittlerweile im Sudan, in der Gegend der Selima-Oase, | ||
+ | |||
+ | Gefunden haben wir nur eine Steinpyramide auf der Spitze des Hügels, umgeben von viel Gewöll, vielleicht von Greifvögeln. Am Fuße des Hügels lagen 10 alte Shell-Benzinkanister, | ||
+ | |||
+ | Die Enttäuschung ist groß, alle Hoffnungen hingen an Selima. Erstmals tauchen Ängste offen auf: Die Konvoipartner sind scheinbar auf Nimmerwiedersehen verschwunden, | ||
+ | |||
+ | Der FAUN verbraucht zwei bis sechs Liter Diesel pro Kilometer! Das liegt weit oberhalb aller Planungen. Der Motor versagt hin und wieder seinen Dienst, meist weil die Treibstoffleitung verschmutzt ist oder die Treibstoffpumpe wieder mal einen Aussetzer hatte. Mit wechselnder Unterstützung beschäftigt sich Manfred täglich 3 bis 4 Stunden mit der Wartung und Pflege des Wagens. Den Reifendruck haben wir fast täglich verringert, mittlerweile auf drei statt sieben atü, um besser auf dem Sand zu liegen. Wir müssen dabei vorsichtig sein, weil wir die Reifen nicht mehr aufpumpen können: der Reifenfüllschlauch verschwand schon am ersten Tag. | ||
+ | |||
+ | Die einzuschlagende Richtung wird eingehend diskutiert: Die Spuren der ehemaligen Konvoipartner auch weiter zu folgen, fehlt jedes *[[wiki: | ||
+ | |||
+ | Nach 12 Kilometern in Richtung 140° stießen wir auf eine viel befahrene Piste mit zahlreichen alten und neuen Reifenspuren, | ||
+ | |||
+ | Cliquen bildeten sich und diskutierten intensiv die verschiedenen Möglichkeiten unter dem Aspekt „Was wäre, wenn...“ Die noch vorhandenen Vorräte an Diesel, Wasser, Nahrungsmitteln wurden geschätzt und auf Tagesreisen umgerechnet. Rationierungen standen im Raum, beruhten aber vorerst auf Freiwilligkeit; | ||
+ | |||
+ | Montag, der zweite Januar: Allen Berechnungen zufolge muß heute der Nil in Sicht kommen. Der Ost-Anteil unserer Route wird stärker, wir schaffen sogar 100 Kilometer, dennoch keine Anzeichen des Flusses. Galgenhumor schlägt in vielen Gespräche durch und wir übernachten in einer passenden Gegend: Aus einem Gebiet mit runden Hügelkuppen, | ||
+ | |||
+ | Dienstag. Aus dem Galgenhumor wird Panikstimmung, | ||
+ | |||
+ | Pro Kopf haben wir noch 20 Liter Wasser, gewaschen hat sich schon seit Tagen niemand mehr, allmählich trinke ich meine Rationen bewußter. Zähneputzen ist Luxus. Beim Tanken wechseln wir uns ab. Da die Pumpe defekt ist muß der Diesel über einen Schlauch mit dem Mund angesaugt werden. Der Dieselgeschmack bleibt tagelang im Mund, einige Tropfen geraten immer bis in den Magen und melden sich noch lange. Irgendwer hat einmal nach dem Tanken das Faß nicht verschlossen, | ||
+ | |||
+ | Heute haben wir nur 100 Liter Diesel verbraucht, gestern noch 200 Liter; je nach Bodenbeschaffenheit reicht der Rest für l bis 3 Tage. Diesel wird für uns wichtiger als Wasser und Nahrung; bei jedem Tanken mischen wir MotorÖl und Waschbenzin bei, der Vielstoffmotor kann’s vertragen. | ||
+ | |||
+ | Mittwoch. Ein Teil der Gruppe versinkt in Lethargie, die anderen halten weiterhin Ausschau nach dem Nil; im Osten sind jetzt größere Erhebungen sichtbar geworden, schroff und schwarz erscheinen sie aus der Entfernung. Irgendwann fahren wir stur drei Kilometer nach Süden, weil wir als Nil erkannt haben, was sich als Luftspiegelung erwies. [[wiki: | ||
+ | |||
+ | Detlev wird hysterisch und redet ununterbrochen; | ||
+ | |||
+ | Dann schaffen wir es doch, schaufeln Sand, legen Steine unter und kommen wieder frei. In dieser Situation erscheint uns der Anblick des gemächlich dahinströmenden Flusses, der sich uns nach Umfahren der nächsten Düne, 100 Meter weiter, eröffnet, als schiere Illusion: Kann das der Nil sein? Warum hat er sich nicht angekündigt mit Vögeln, Sträuchern, | ||
+ | |||
+ | Dieser Fluß ist mir zum Symbol geworden für Sicherheit und Geborgenheit. In Kairo, 1500 Kilometer nilabwärts, | ||
+ | |||
+ | An diesem Tag blieb jeder für sich. Aus der Reise war in den letzten Tagen eine Fortbewegung geworden unter dem Zwang, ein Ziel zu erreichen, das wir nicht kannten. Die Wüste erschien mir immer mehr als Gegner, der überwunden werden mußte. Reisen als Genuß war das nicht. | ||
+ | |||
+ | Und obwohl ich meinen Optimismus behielt, niemals aufgeben würde, solange ich eine Möglichkeit für mich sehe, weiterzukommen, | ||
+ | |||
+ | So war die Erholung dieser ersten Tage am Nil geprägt durch die Entgrenzung der zuvor erfahrenen Notwendigkeiten. Das Gehen empfand ich wieder als Lust, nicht als letzte Möglichkeit, | ||
+ | |||
+ | Sogar die Nacht brachte Erholung, da ich den nächsten Morgen genießen konnte: Frei von dem Druck eines endlosen Tages voller enttäuschter Hoffnungen. | ||
+ | |||
+ | < | ||