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wiki:1985_sudan

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 ====== Durch die Libysche Wüste mit einem Faun ====== ====== Durch die Libysche Wüste mit einem Faun ======
-Norbert Lüdtke (1985)+ 
 +[[wiki:luedtke_norbert|Norbert Lüdtke]] (1985)
  
 Das ganze Jahr über hatte ich Reisepläne entworfen, Details geplant: Nach Schwarzafrika sollte es gehen, ohne Frage. Auch die Wüste wollte ich erleben, intensiv und tagelang, und den Dschungel kennenlernen. Die arabischen Länder dagegen lagen mir fern, ihr Lebensstil war mir zu laut, zu schrill. Eine Route durch Tunesien, Algerien, Niger zur westafrikanischen Küste war ausgearbeitet, einschlägige Literatur gelesen, erfahrene Freunde befragt und die Fährverbindungen über das Mittelmeer ausgekundschaftet, als ich von dem Plan eines Bekannten hörte, mit einem geländetauglichen Lkw die Libysche Wüste zu durchqueren und durch Ägypten, den Sudan, Kenia, Uganda, Ruanda, Burundi, Tanzania, Sambia und Zimbabwe bis nach Kapstadt zu gelangen. Das ganze Jahr über hatte ich Reisepläne entworfen, Details geplant: Nach Schwarzafrika sollte es gehen, ohne Frage. Auch die Wüste wollte ich erleben, intensiv und tagelang, und den Dschungel kennenlernen. Die arabischen Länder dagegen lagen mir fern, ihr Lebensstil war mir zu laut, zu schrill. Eine Route durch Tunesien, Algerien, Niger zur westafrikanischen Küste war ausgearbeitet, einschlägige Literatur gelesen, erfahrene Freunde befragt und die Fährverbindungen über das Mittelmeer ausgekundschaftet, als ich von dem Plan eines Bekannten hörte, mit einem geländetauglichen Lkw die Libysche Wüste zu durchqueren und durch Ägypten, den Sudan, Kenia, Uganda, Ruanda, Burundi, Tanzania, Sambia und Zimbabwe bis nach Kapstadt zu gelangen.
  
-Genau das war schon auf früheren Reisen mein Traum gewesen: Routen, Rastplätze und Richtungen im eigenen fahrzeug selbst bestimmen zu können anstatt sich in Bussen zu quälen. Über die //Deutsche Zentrale für Globetrotter// nahm ich Kontakt zu Reinhold auf: die Planungen steckten in der Endphase, Teilnehmer wurden gesucht, ich war dabei. Adieu Westafrika, vielleicht beim nächsten Mal.+Genau das war schon auf früheren Reisen mein Traum gewesen: Routen, Rastplätze und [[wiki:orientierung|Richtungen]] im eigenen fahrzeug selbst bestimmen zu können anstatt sich in Bussen zu quälen. Über die //Deutsche Zentrale für Globetrotter// nahm ich Kontakt zu Reinhold auf: die Planungen steckten in der Endphase, Teilnehmer wurden gesucht, ich war dabei. Adieu Westafrika, vielleicht beim nächsten Mal.
  
 Einige dieser Länder kannte ich von früheren Reisen, war schon einmal dort gewesen mit dem [[wiki:rucksack|Rucksack]] und unterwegs mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und doch blieb immer der Eindruck zurück, nur die Oberfläche ertastet zu haben, nicht eingedrungen zu sein ins Land und lediglich von Stadt zu Stadt getrieben worden zu sein, eingeengt durch die Pfade der Zivilisation, durch Buslinien und Fahrpläne, ausgeliefert der scheinbaren Willkür des Fahrers, dessen Sprache ich nicht verstand, an Plätzen vorbei, an denen ich bleiben wollte. Einige dieser Länder kannte ich von früheren Reisen, war schon einmal dort gewesen mit dem [[wiki:rucksack|Rucksack]] und unterwegs mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und doch blieb immer der Eindruck zurück, nur die Oberfläche ertastet zu haben, nicht eingedrungen zu sein ins Land und lediglich von Stadt zu Stadt getrieben worden zu sein, eingeengt durch die Pfade der Zivilisation, durch Buslinien und Fahrpläne, ausgeliefert der scheinbaren Willkür des Fahrers, dessen Sprache ich nicht verstand, an Plätzen vorbei, an denen ich bleiben wollte.
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 Das Abteil nimmt unseren Geruch an, wird voller. Schafskäse, Oliven, Knoblauch, Zwiebeln, Brot, Wein tun ein übriges - zweieinhalb Tage wohnen auf einem halben Quadratmeter. Bald sind auch die Gänge besetzt und schließlich belegt, es wird lauter und lebendiger, die Bewohner der Nachbarabteile sind bald vertrauter: Das Woher und Wohin ist schnell geklärt, Tips und Tricks sind Gegenstand endlosen Informationsaustausches, nur das Warum scheint ausgeklammert - Schlagworte wie Urlaub, Ferien, Abhauen tabuisieren eher. Enthüllendes bleibt im Privaten. Das Abteil nimmt unseren Geruch an, wird voller. Schafskäse, Oliven, Knoblauch, Zwiebeln, Brot, Wein tun ein übriges - zweieinhalb Tage wohnen auf einem halben Quadratmeter. Bald sind auch die Gänge besetzt und schließlich belegt, es wird lauter und lebendiger, die Bewohner der Nachbarabteile sind bald vertrauter: Das Woher und Wohin ist schnell geklärt, Tips und Tricks sind Gegenstand endlosen Informationsaustausches, nur das Warum scheint ausgeklammert - Schlagworte wie Urlaub, Ferien, Abhauen tabuisieren eher. Enthüllendes bleibt im Privaten.
  
-56 Stunden: Zeit, zu überlegen, wohin die Reise führt. Das Reisen der Anderen steckt an, der Unruhe-Virus breitet sich aus; im Unterwegs-Sein sind alle einander vertraut: Ja, das Studium ist nach endlosen Jahren abgeschlossen, ich nutze die Zeit danach. Vier Monate habe ich zuhause alles getan, was ich schon jahrelang tun wollte, nichts ist nun zu tun übrig. Leere. Das Geld verdienen um des Geldes willen hat mich angeekelt, nach einer Woche habe ich gekündigt, der Job war unerträglich.+56 Stunden: Zeit, zu überlegen, wohin die Reise führt. Das Reisen der Anderen steckt an, der Unruhe-Virus breitet sich aus; im [[wiki:unterwegs-sein|Unterwegs-sein]] sind alle einander vertraut: Ja, das Studium ist nach endlosen Jahren abgeschlossen, ich nutze die Zeit danach. Vier Monate habe ich zuhause alles getan, was ich schon jahrelang tun wollte, nichts ist nun zu tun übrig. Leere. Das Geld verdienen um des Geldes willen hat mich angeekelt, nach einer Woche habe ich gekündigt, der Job war unerträglich.
  
 Die Reise soll mir ein Spiegel sein; ein Teil meiner Erinnerungen wird sich im Tagebuch wiederfinden - Fotos sagen mir wenig. Selbst unbeschrieben ist das Tagebuch die Summe meiner bisherigen Beschäftigung mit Büchern; es steht für alle Bücher, die ich gerne gelesen habe, für mein Examen, meinen Beruf, es ist die Nabelschnur zur Heimat. Auf dieser Reise wird es einen Zweikampf führen müssen mit den niedergeschriebenen Erinnerungen und Erlebnissen: Wer wird stärker sein? Ich bin gespannt, ob ich des Reisens überdrüssig werden kann. Die Reise soll mir ein Spiegel sein; ein Teil meiner Erinnerungen wird sich im Tagebuch wiederfinden - Fotos sagen mir wenig. Selbst unbeschrieben ist das Tagebuch die Summe meiner bisherigen Beschäftigung mit Büchern; es steht für alle Bücher, die ich gerne gelesen habe, für mein Examen, meinen Beruf, es ist die Nabelschnur zur Heimat. Auf dieser Reise wird es einen Zweikampf führen müssen mit den niedergeschriebenen Erinnerungen und Erlebnissen: Wer wird stärker sein? Ich bin gespannt, ob ich des Reisens überdrüssig werden kann.
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 Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt, sagt ''Konfuzius''. Mein erster Schritt ist Athen. Fast dreitausend Kilometer liegen hinter mir, alle Veränderungen auf dem Weg habe ich Stück für Stück geschmeckt, gehört, gesehen: Die Natur macht keine Sprünge. Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt, sagt ''Konfuzius''. Mein erster Schritt ist Athen. Fast dreitausend Kilometer liegen hinter mir, alle Veränderungen auf dem Weg habe ich Stück für Stück geschmeckt, gehört, gesehen: Die Natur macht keine Sprünge.
  
-Nun ist die Luft lau, ich habe ein T-Shirt an, das bald schwarz ist vom Smog über der Akropolis. Menschen, Sprache, Kleidung, Kultur sind mir vertraut, auch wenn ich sie nicht verstehe. Noch fühle ich mich zu Hause, bin Europäer.+Nun ist die Luft lau, ich habe ein T-Shirt an, das bald schwarz ist vom Smog über der Akropolis. Menschen, Sprache, [[wiki:reisekleidung|Kleidung]] , Kultur sind mir vertraut, auch wenn ich sie nicht verstehe. Noch fühle ich mich zu Hause, bin Europäer.
  
 ==== In Ägypten ==== ==== In Ägypten ====
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 Kairo war Treffpunkt für die Gruppe, dort führten unsere Wege zusammen; die Teilnehmer kannte ich aus verschiedenen Treffen flüchtig: Unsere Jüngste war ''Doro'', 18 Jahre, Tierpflegerin aus Münster. Sie wollte endlich mal die ihr aus Käfigen bekannten Tiere in Freiheit sehen. Kairo war Treffpunkt für die Gruppe, dort führten unsere Wege zusammen; die Teilnehmer kannte ich aus verschiedenen Treffen flüchtig: Unsere Jüngste war ''Doro'', 18 Jahre, Tierpflegerin aus Münster. Sie wollte endlich mal die ihr aus Käfigen bekannten Tiere in Freiheit sehen.
  
-''Theo'', frischgebackener Jurist, war an Kultur und Geschichte der Länder stark interessiert. Georg, Flugzeugingenieur, querschnittsgelähmt und Reisender aus Leidenschaft seit 20 Jahren, tilgte weiße Flecken von seiner persönlichen Landkarte.+''Theo'', frischgebackener Jurist, war an Kultur und Geschichte der Länder stark interessiert. Georg, Flugzeugingenieur, querschnittsgelähmt und Reisender aus Leidenschaft seit 20 Jahren, tilgte [[wiki:weisse_flecken|weiße Flecken]] von seiner persönlichen Landkarte.
  
 ''Ute'', wenige Tage nach dem Apothekerinnenexamen zusammen mit den anderen auf dem Weg nach Venedig, sucht neue Erfahrungen für ihren Lebensweg. Ulrike und Mathias, Studenten, werden von der Neugier getrieben und von der Langeweile des Semesters. Beide werden nach der Reise Afrikanistik studieren. Hardi, beurlaubter Lehrer, geht nach der Karriere zum ersten Mal hemmungslos seinem größten Hobby nach. Detlev ist Finanzbeamter, Anna hat ein Studium abgeschlossen; was sie bewegt, weiß ich nicht. Rainer, Werner, Richard, Manfred und Mathias sind Reisende aus Berufung. Etwas anderes kommt für sie nicht in Frage, nur der Stil unterscheidet sie. ''Ute'', wenige Tage nach dem Apothekerinnenexamen zusammen mit den anderen auf dem Weg nach Venedig, sucht neue Erfahrungen für ihren Lebensweg. Ulrike und Mathias, Studenten, werden von der Neugier getrieben und von der Langeweile des Semesters. Beide werden nach der Reise Afrikanistik studieren. Hardi, beurlaubter Lehrer, geht nach der Karriere zum ersten Mal hemmungslos seinem größten Hobby nach. Detlev ist Finanzbeamter, Anna hat ein Studium abgeschlossen; was sie bewegt, weiß ich nicht. Rainer, Werner, Richard, Manfred und Mathias sind Reisende aus Berufung. Etwas anderes kommt für sie nicht in Frage, nur der Stil unterscheidet sie.
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 Dorthin waren auch die übrigen fünf Reisenden unterwegs. ''Georg'' flog aus Deutschland ein, ''Hardi'' war schon einige Monate unterwegs und mit ''Ulrike'' und ''Mathias'' machte ich nun schon seit drei Wochen in Ägypten einen richtig erholsamen Urlaub — vor dem großen Abenteuer. Dorthin waren auch die übrigen fünf Reisenden unterwegs. ''Georg'' flog aus Deutschland ein, ''Hardi'' war schon einige Monate unterwegs und mit ''Ulrike'' und ''Mathias'' machte ich nun schon seit drei Wochen in Ägypten einen richtig erholsamen Urlaub — vor dem großen Abenteuer.
  
-Eine Woche badeten und tauchten wir im Roten Meer; in der Nähe von //Sharm el Sheik// gibt es einsame Sandstrände und kleine Dörfer, in denen wir uns mit Fisch, Zucchini, Auberginen, Zwiebeln und Linsen versorgten. Der Strand, an dem wir schliefen, war sauberer als alle Hotels und morgens ging die Sonne über dem Meer auf; beim allmorgendlichen Strandlauf fand ich angetriebene Holzreste für das Frühstücksfeuer.+Eine Woche badeten und tauchten wir im Roten Meer; in der Nähe von //Sharm el Sheik// gibt es einsame [[wiki:liste_strand-abc|Sandstrände]] und kleine Dörfer, in denen wir uns mit Fisch, Zucchini, Auberginen, Zwiebeln und Linsen versorgten. Der Strand, an dem wir schliefen, war sauberer als alle Hotels und morgens ging die Sonne über dem Meer auf; beim allmorgendlichen Strandlauf fand ich angetriebene Holzreste für das Frühstücksfeuer.
  
-Ausgedehnte Spaziergänge führten uns durch die großartige Landschaft im Landesinnern: Roter Granit, von der Erosion zerfressen, bildet die sichtbare Oberfläche der Berge und Hügel, in den breiten Schluchten zeigt sich nur hier und da eine Akazie, manchmal Palmen, öfter Dornsträucher. Wenige Beduinen durchziehen das Land mit Kamelen und Ziegenherden, leben in grob gewebten Zelten. Einige Tage lang bekamen wir einen Eindruck von diesem Leben; zusammen mit einem Beduinen als Führer zogen wir auf Kamelen von Brunnen zu Brunnen.+Ausgedehnte [[wiki:spaziergang|Spaziergänge]] führten uns durch die großartige  [[wiki:landschaft|Landschaft]]im Landesinnern: Roter Granit, von der Erosion zerfressen, bildet die sichtbare Oberfläche der Berge und Hügel, in den breiten Schluchten zeigt sich nur hier und da eine Akazie, manchmal Palmen, öfter Dornsträucher. Wenige [[wiki:beduinen|Beduinen]] durchziehen das Land mit Kamelen und Ziegenherden, leben in grob gewebten Zelten. Einige Tage lang bekamen wir einen Eindruck von diesem Leben; zusammen mit einem [[wiki:beduinen|Beduinen]] als Führer zogen wir auf Kamelen von Brunnen zu Brunnen.
  
 In der letzten Woche brachen wir auf zum //Dschebel Musa//, dem Berg Moses, an dessen Fuß das älteste christliche Kloster, das Katharinenkloster, steht. Wir wollten den Sonnenaufgang erleben von diesem zweithöchsten Berg der Sinai-Halbinsel, und stiegen in der abendlichen Dämmerung auf, um unterhalb des Gipfels zu übernachten. Mehr als dreitausend Stufen führen auf den 2.283 Meter hohen Berg, angelegt von einem Mönch aufgrund eines Gelübdes. Die Stufen bestehen aus grob behauenen Felsen und sind dem Gelände angepasst, nicht aber der Schrittweise eines normalen Menschen; hin und wieder ging der Aufstieg in eine leichte Kletterei über. Unterhalb des Gipfels befindet sich eine Opferstätte, an der gewaltige Zypressen einen Brunnen beschirmen. Zwei karge Hütten stehen leer. Fellstücke und Knochen deuten auf eine rege Opfertätigkeit hin. In der letzten Woche brachen wir auf zum //Dschebel Musa//, dem Berg Moses, an dessen Fuß das älteste christliche Kloster, das Katharinenkloster, steht. Wir wollten den Sonnenaufgang erleben von diesem zweithöchsten Berg der Sinai-Halbinsel, und stiegen in der abendlichen Dämmerung auf, um unterhalb des Gipfels zu übernachten. Mehr als dreitausend Stufen führen auf den 2.283 Meter hohen Berg, angelegt von einem Mönch aufgrund eines Gelübdes. Die Stufen bestehen aus grob behauenen Felsen und sind dem Gelände angepasst, nicht aber der Schrittweise eines normalen Menschen; hin und wieder ging der Aufstieg in eine leichte Kletterei über. Unterhalb des Gipfels befindet sich eine Opferstätte, an der gewaltige Zypressen einen Brunnen beschirmen. Zwei karge Hütten stehen leer. Fellstücke und Knochen deuten auf eine rege Opfertätigkeit hin.
  
-Hier verbrachten wir eine ruhige Nacht, erwachten noch vor der Dämmerung und erreichten die Kapelle auf dem Gipfel noch vor den Touristengruppen, die in den frühen Morgenstunden auf den Weg nach oben gebracht werden. Berge und Hügel tauchen aus der Schwärze der Nacht auf, mit einer Tünche aus rotem Licht überzogen, sobald das erste Licht der Sonne den Horizont färbt; das Gewirr der Täler und Schluchten bleibt vorerst tiefschwarz, hellt erst langsam auf, bis die Sonne voll sichtbar ist. Dann verblasst langsam das allgegenwärtige Rot und weicht der Lichtfülle des Tages, die Welt wird weiß und blendet die Augen. Ich glaubte mich auf dem Dach der Welt: Der Blick ging endlos und bis zum Horizont tastete er sich an den immer kleiner werdenden, aber deutlich unterscheidbaren Strukturen dieser Landschaft entlang.+Hier verbrachten wir eine ruhige Nacht, erwachten noch vor der Dämmerung und erreichten die Kapelle auf dem Gipfel noch vor den Touristengruppen, die in den frühen Morgenstunden auf den Weg nach oben gebracht werden. Berge und Hügel tauchen aus der Schwärze der Nacht auf, mit einer Tünche aus rotem Licht überzogen, sobald das erste Licht der Sonne den Horizont färbt; das Gewirr der Täler und Schluchten bleibt vorerst tiefschwarz, hellt erst langsam auf, bis die Sonne voll sichtbar ist. Dann verblasst langsam das allgegenwärtige Rot und weicht der Lichtfülle des Tages, die Welt wird weiß und blendet die Augen. Ich glaubte mich auf dem Dach der Welt: Der Blick ging endlos und bis zum Horizont tastete er sich an den immer kleiner werdenden, aber deutlich unterscheidbaren Strukturen dieser  [[wiki:landschaft|Landschaft]]entlang.
  
 Kein Wunder, schoß es mir durch den Kopf, daß dieser Berg schon in vorchristlicher Zeit heilig war, dieser Anblick allein kann Erleuchtung sein; und die Zehn Gebote hat Moses sicher hier bekommen — schließlich liegt einem die ganze Welt zu Füßen. Kein Wunder, schoß es mir durch den Kopf, daß dieser Berg schon in vorchristlicher Zeit heilig war, dieser Anblick allein kann Erleuchtung sein; und die Zehn Gebote hat Moses sicher hier bekommen — schließlich liegt einem die ganze Welt zu Füßen.
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 Die Brücke, auf der wir bei Beni Suef den Nil überqueren wollten, existierte nicht. Dies war nur der Anfang. In den nächsten Wochen blieb kein Tag ohne Enttäuschung. Vorerst konnte noch einige Tage relaxt werden: Von der Töpferstadt Quena, 642 Kilometer südlich von Kairo, nahmen wir die breite Asphaltstraße nach Port Safaga am Roten Meer, fuhren dann weiter südlich bis //Marsa Alama//, dem südlichsten für Touristen erlaubten Ort, und genossen das Meer und die warme Sonne. Die Brücke, auf der wir bei Beni Suef den Nil überqueren wollten, existierte nicht. Dies war nur der Anfang. In den nächsten Wochen blieb kein Tag ohne Enttäuschung. Vorerst konnte noch einige Tage relaxt werden: Von der Töpferstadt Quena, 642 Kilometer südlich von Kairo, nahmen wir die breite Asphaltstraße nach Port Safaga am Roten Meer, fuhren dann weiter südlich bis //Marsa Alama//, dem südlichsten für Touristen erlaubten Ort, und genossen das Meer und die warme Sonne.
  
-Erfahrungen wurden ausgetauscht. Wünsche geäußert und Erwartungen beschrieben — war es doch das erste Mal, daß die Gruppe vollständig zusammen war. Auf der riesigen Ladefläche stapelten sich fünf Ersatzreifen, jeder 250 Kilogramm schwer, acht Fässer für Treibstoffvorräte und acht Kunststofftonnen für Trinkwasser. In Holzkisten waren die mitgebrachten Vorräte verstaut: Margarine, Marmelade, Wurst, Käse, Brot, Mehl, Fleisch, Zucker, Suppen ... Darüber kugelten während der Fahrt unsere [[wiki:rucksack|Rucksäcke]], Schlafsäcke und Unterlegmatten. Die seitlich unterhalb der Ladefläche angebrachten Fächer enthielten Ersatzteile und Werkzeuge.+Erfahrungen wurden ausgetauscht. Wünsche geäußert und Erwartungen beschrieben — war es doch das erste Mal, daß die Gruppe vollständig zusammen war. Auf der riesigen Ladefläche stapelten sich fünf Ersatzreifen, jeder 250 Kilogramm schwer, acht Fässer für Treibstoffvorräte und acht Kunststofftonnen für Trinkwasser. In Holzkisten waren die mitgebrachten Vorräte verstaut: Margarine, Marmelade, Wurst, Käse, Brot, Mehl, Fleisch, Zucker, Suppen ... Darüber kugelten während der [[wiki:fahrt|Fahrt]] unsere [[wiki:rucksack|Rucksäcke]], Schlafsäcke und Unterlegmatten. Die seitlich unterhalb der Ladefläche angebrachten Fächer enthielten Ersatzteile und Werkzeuge.
  
 Pläne wurden gewälzt, jeder hatte noch Ideen für weitere Besorgungen, hier und da wurde Kritik an der Vorbereitung geäußert, doch insgesamt überwog bei allen die Freude am Aufbruch. Auch die Reiseroute wurde neu diskutiert, mußte geändert werden, da ein Gerücht, das schon heimkehrende Afrikafahrer im November in Deutschland verbreitet hatten und das sich hier im Gespräch mit anderen Reisenden bestätigte, wissen wollte, daß die Ägypter keine Einzelfahrten mehr in den Sudan genehmigten, allenfalls monatliche Konvois unter Militärbegleitung anboten. Doch wir wollten mehr, wollten die Wüste erleben abseits von allen Routen. Auch andere motorisierte Afrikafahrer hatten keinen Sinn für den Miliäarkonvoi, und so hatten wir uns mit vier anderen Gruppen außerhalb der Oase //El Kharga// verabredet, um uns von dort mit Karte und Kompaß auf eigene Faust durch die Libysche Wüste zu bringen, ägyptische Pisten und Militärstationen meidend. Pläne wurden gewälzt, jeder hatte noch Ideen für weitere Besorgungen, hier und da wurde Kritik an der Vorbereitung geäußert, doch insgesamt überwog bei allen die Freude am Aufbruch. Auch die Reiseroute wurde neu diskutiert, mußte geändert werden, da ein Gerücht, das schon heimkehrende Afrikafahrer im November in Deutschland verbreitet hatten und das sich hier im Gespräch mit anderen Reisenden bestätigte, wissen wollte, daß die Ägypter keine Einzelfahrten mehr in den Sudan genehmigten, allenfalls monatliche Konvois unter Militärbegleitung anboten. Doch wir wollten mehr, wollten die Wüste erleben abseits von allen Routen. Auch andere motorisierte Afrikafahrer hatten keinen Sinn für den Miliäarkonvoi, und so hatten wir uns mit vier anderen Gruppen außerhalb der Oase //El Kharga// verabredet, um uns von dort mit Karte und Kompaß auf eigene Faust durch die Libysche Wüste zu bringen, ägyptische Pisten und Militärstationen meidend.
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 Die Spuren der alten Reisenden zeigen auch heute noch den Pistenverlauf an: Zahllose, von der Sonne gebleichte Kamelgerippe, in den Sand gesteckte Holzpflöcke, Steinhaufen und seit einigen Jahrzehnten auch Öltonnen, manche davon aus dem Krieg. Verläßt man aber die Piste und zieht tiefer in die Libysche Wüste auf den Dschebel Uweinat zu, dem umstrittenen Drei-LänderEck zwischen Ägypten, Libyen und dem Sudan, so begibt man sich in die letzte völlige Einsamkeit der Sahara. Die Spuren der alten Reisenden zeigen auch heute noch den Pistenverlauf an: Zahllose, von der Sonne gebleichte Kamelgerippe, in den Sand gesteckte Holzpflöcke, Steinhaufen und seit einigen Jahrzehnten auch Öltonnen, manche davon aus dem Krieg. Verläßt man aber die Piste und zieht tiefer in die Libysche Wüste auf den Dschebel Uweinat zu, dem umstrittenen Drei-LänderEck zwischen Ägypten, Libyen und dem Sudan, so begibt man sich in die letzte völlige Einsamkeit der Sahara.
  
-In den Zwanziger und Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts gelangten erstmals Expeditionen hierher: 1925 ''Prinz Kemal ei Din Hussein'' mit Citroen-Kettenfahrzeugen oder [[wiki:Almásy|Ladislaus E. Almásy]] auf der Suche nach der Oase //Zarzura//. Reifenspuren bleiben jahrzehntelang erhalten, alte Fässer und Kisten fanden wir, manchmal Papierfetzen an ehemaligen Lagerfeuern. Seit Jahren, Jahrzehnten unberührt liegende Wein- und Whiskyflaschen sind von Sand und Wind blind geworden, Metallstücke aber blank poliert, rosten nie.+In den Zwanziger und Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts gelangten erstmals Expeditionen hierher: 1925 ''Prinz Kemal ei Din Hussein'' mit Citroen-Kettenfahrzeugen oder [[wiki:almasy_ladislaus|Ladislaus E. Almásy]] auf der Suche nach der Oase //Zarzura//. Reifenspuren bleiben jahrzehntelang erhalten, alte Fässer und Kisten fanden wir, manchmal Papierfetzen an ehemaligen Lagerfeuern. Seit Jahren, Jahrzehnten unberührt liegende Wein- und Whiskyflaschen sind von Sand und Wind blind geworden, Metallstücke aber blank poliert, rosten nie.
  
 Selbst genügsame Tiere: Schlangen, Skorpione, Käfer … sind in diesem Teil der Sahara selten, hin und wieder sahen wir ihre Spuren im Sand; größere Tiere bekamen wir niemals zu sehen. Nicht einmal trockenes Gras fanden wir. Wasservorkommen beschränken sich auf wenige Brunnen, die meist als Militärstützpunkte dienen. Im Winter aber ist es in dieser Wüste erheblich kühler als in anderen Jahreszeiten, die Hitze weicht tagsüber angenehmen Temperaturen, nachts wird es bitter kalt. Der Wasserbedarf eines Menschen sinkt auf unter fünf Liter täglich, im Sommer kann er auf 10 bis 20 Liter steigen! Der stetig wehende Wind bringt tagsüber angenehme Kühle, doch Sand in die Mahlzeiten und in den Kaffee - nichts geht hier ohne Sand und Wind. Selbst genügsame Tiere: Schlangen, Skorpione, Käfer … sind in diesem Teil der Sahara selten, hin und wieder sahen wir ihre Spuren im Sand; größere Tiere bekamen wir niemals zu sehen. Nicht einmal trockenes Gras fanden wir. Wasservorkommen beschränken sich auf wenige Brunnen, die meist als Militärstützpunkte dienen. Im Winter aber ist es in dieser Wüste erheblich kühler als in anderen Jahreszeiten, die Hitze weicht tagsüber angenehmen Temperaturen, nachts wird es bitter kalt. Der Wasserbedarf eines Menschen sinkt auf unter fünf Liter täglich, im Sommer kann er auf 10 bis 20 Liter steigen! Der stetig wehende Wind bringt tagsüber angenehme Kühle, doch Sand in die Mahlzeiten und in den Kaffee - nichts geht hier ohne Sand und Wind.
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 Auch das Gesehene gewinnt an Tiefe, ich erlebe es neu in der Monotonie der Sandwüste: Schon ein einzelner Stein oder ein Kamelknochen ist ein Ereignis in der Gleichförmigkeit des gerippten Sandes, Grund genug zur Richtungsänderung und zur näheren Betrachtung. Entfernungen zu schätzen, wurde mir unmöglich: oft wurden Felsstücke, durchs Fernglas betrachtet, zum weit entfernten Hügel. Auch das Gesehene gewinnt an Tiefe, ich erlebe es neu in der Monotonie der Sandwüste: Schon ein einzelner Stein oder ein Kamelknochen ist ein Ereignis in der Gleichförmigkeit des gerippten Sandes, Grund genug zur Richtungsänderung und zur näheren Betrachtung. Entfernungen zu schätzen, wurde mir unmöglich: oft wurden Felsstücke, durchs Fernglas betrachtet, zum weit entfernten Hügel.
  
-Der Darb ei Arba’in wollen wir in weitem Abstand folgen, aus Furcht vor Kontrollen. So schlagen wir einen weiten Bogen durch die Wüste, Richtung Libyen. Vom ersten Tag an fallen wir gegenüber den anderen zurück: Der Lkw ist zu schwer für den Sand der Wüste, die Reifen taugen nur auf normalen Böden. Wir lassen Luft ab, um die Auflagefläche zu vergrößern.+Der Darb ei Arba’in wollen wir in weitem Abstand folgen, aus Furcht vor Kontrollen. So schlagen wir einen weiten Bogen durch die Wüste, [[wiki:orientierung|Richtung]] Libyen. Vom ersten Tag an fallen wir gegenüber den anderen zurück: Der Lkw ist zu schwer für den Sand der Wüste, die Reifen taugen nur auf normalen Böden. Wir lassen Luft ab, um die Auflagefläche zu vergrößern.
  
-Heilig Abend: Das erste Erwachen in der Wüste ist begleitet vom kalten Wind, der es mir schwer macht, den Daunenschlafsack zu verlassen. Wer zuerst wach ist, kocht Kaffee. Heißer Kaffee ist an diesen Morgen das Wichtigste. 93 Kilometer zeigt der Tacho nachmittags an; die Konvoipartner sind schon lange nicht mehr in Sicht, den ganzen Tag sind wir ihren Spuren gefolgt. Die Gegend ist felsig, unübersichtlich, unüberschaubar. Hügelauf- und abwärts kämpft sich der Faun wie ein urweltlicher Saurier. Felsstufen und Steine erschüttern die Ladefläche; täglich müssen wir jetzt die Seile spannen, Knoten erneuern, Schrauben anziehen. Hinter Kurven erwarten uns Sandverwehungen, bremsen die Fahrt und mildern die Erschütterungen.+Heilig Abend: Das erste Erwachen in der Wüste ist begleitet vom kalten Wind, der es mir schwer macht, den Daunenschlafsack zu verlassen. Wer zuerst wach ist, kocht Kaffee. Heißer Kaffee ist an diesen Morgen das Wichtigste. 93 Kilometer zeigt der Tacho nachmittags an; die Konvoipartner sind schon lange nicht mehr in Sicht, den ganzen Tag sind wir ihren Spuren gefolgt. Die Gegend ist felsig, unübersichtlich, unüberschaubar. Hügelauf- und abwärts kämpft sich der Faun wie ein urweltlicher Saurier. Felsstufen und Steine erschüttern die Ladefläche; täglich müssen wir jetzt die Seile spannen, Knoten erneuern, Schrauben anziehen. Hinter Kurven erwarten uns Sandverwehungen, bremsen die [[wiki:fahrt|Fahrt]] und mildern die Erschütterungen.
  
 Noch sind die Spuren unserer Partner eindeutig: Auch sie hatten zu kämpfen - wir sehen tiefe Löcher, es wurde geschaufelt. Schleifspuren der Sandbleche führen bis auf festen Untergrund und wurden dort wieder verladen. Der Wüstenboden hat ein gutes Gedächtnis. Noch sind die Spuren unserer Partner eindeutig: Auch sie hatten zu kämpfen - wir sehen tiefe Löcher, es wurde geschaufelt. Schleifspuren der Sandbleche führen bis auf festen Untergrund und wurden dort wieder verladen. Der Wüstenboden hat ein gutes Gedächtnis.
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 Heilig Abend: In Deutschland wird Weihnachten gefeiert, mehr oder weniger gleich bei all unseren Verwandten. Aus Eiern, Milchpulver, Zucker und Rotwein kochen wir eine Art Pudding und feiern auch. Die Stimmung am klapprigen Tapeziertisch schwankt zwischen Euphorie und melancholischer Nachdenklichkeit. Der ehemals eingepackte Dresdner Christstollen hat mir schon vor drei Wochen den [[wiki:rucksack|Rucksack]] vollgekrümelt, jetzt hätte ich ihn gerne. Heilig Abend: In Deutschland wird Weihnachten gefeiert, mehr oder weniger gleich bei all unseren Verwandten. Aus Eiern, Milchpulver, Zucker und Rotwein kochen wir eine Art Pudding und feiern auch. Die Stimmung am klapprigen Tapeziertisch schwankt zwischen Euphorie und melancholischer Nachdenklichkeit. Der ehemals eingepackte Dresdner Christstollen hat mir schon vor drei Wochen den [[wiki:rucksack|Rucksack]] vollgekrümelt, jetzt hätte ich ihn gerne.
  
-Sonntag mittag fahren wir weiter, nach sechs Kilometern treffen wir auf das Camp unserer Konvoipartner. Wir bleiben heute in diesem Camp und besprechen abends den weiteren Weg. Dabei orientieren wir uns an Gerüchten, Vermutungen, [[wiki:illusionen|Annahmen]]; einzig solide Basis sind die alten englischen Militärkarten im Maßstab l: l 000 000. Aber auch darauf überwiegen die weißen Flecken; Gebiete von der Größe des Saarlandes werden beschrieben als: //Uneven plateau of very sharp rough limestone// oder eine Aussicht: //Hills visible to NNW// oder die Kennzeichen einer Piste: //Camel route one mile wide marked by white bones//.+Sonntag mittag fahren wir weiter, nach sechs Kilometern treffen wir auf das Camp unserer Konvoipartner. Wir bleiben heute in diesem Camp und besprechen abends den weiteren Weg. Dabei orientieren wir uns an Gerüchten, Vermutungen, [[wiki:illusionen|Annahmen]]; einzig solide Basis sind die alten englischen Militärkarten im Maßstab l: l 000 000. Aber auch darauf überwiegen die [[wiki:weisse_flecken|weißen Flecken]]; Gebiete von der Größe des Saarlandes werden beschrieben als: //Uneven plateau of very sharp rough limestone// oder eine Aussicht: //Hills visible to NNW// oder die Kennzeichen einer Piste: //Camel route one mile wide marked by white bones//.
  
 Montag morgen stehen wir um fünf Uhr auf, damit wir um acht fahrbereit sind, schneller geht es wohl nicht mit so vielen Leuten. Wir schaffen 71 km und überqueren am Nachmittag eine markierte Route, breit und voller Spuren. Um Entfernung zu dieser Piste zu bekommen, schwenken wir dienstags auf Kurs West und halten uns erst nach 30 Kilometern wieder südlich. Montag morgen stehen wir um fünf Uhr auf, damit wir um acht fahrbereit sind, schneller geht es wohl nicht mit so vielen Leuten. Wir schaffen 71 km und überqueren am Nachmittag eine markierte Route, breit und voller Spuren. Um Entfernung zu dieser Piste zu bekommen, schwenken wir dienstags auf Kurs West und halten uns erst nach 30 Kilometern wieder südlich.
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 Ich erlebe in dieser Nacht erstmals den Schrecken der Wüste, als ich, den Wagenspuren unserer Konvoipartner folgend, in die Wüste hinausgehe. Nur mit den Füßen kann ich die Spuren im Sand tasten, sehen kann ich sie nicht. Es ist Neumond, unterhalb des Horizonts herrscht einheitliches Schwarz, den Hügel vor mir erkenne ich nur als schwarzes Loch ohne Sterne, Eine Stunde vielleicht folge ich den Spuren, der Boden wird langsam fester, Sand weicht Stein, dann kann ich die Spuren vom Untergrund nicht mehr unterscheiden. Nur noch einige Meter trennen mich von der Hügelkuppe, so scheint es mir, und ich möchte feststellen, ob ich von dort nicht die Lichter unserer Reisekameraden sehen kann. Der Weg war weiter als ich dachte, und als ich die Kuppe erreiche, dehnt sich nur endlose Schwärze vor mir, ob Hügel folgen oder Tal, oder sich eine Ebene vor mir ausdehnt - ich kann es nicht ausmachen. Langsam taucht ein Gefühl der Verlorenheit auf. Ich glaube, mich im absoluten Nichts zu befinden. Meine Sinne weiten sich, sind bereit, jeden Ton, jeden Funken aufzunehmen — doch da ist nichts. Kein Rascheln, kein Tierlaut unterbricht diese Stille. Einzig die Sterne stehen unbeweglich, der kalte Wind streicht gleichförmig um mich herum, Zeit hat keine Bedeutung mehr. Das Bedürfnis entsteht, mich dieser Natur anzupassen, mich hinzusetzen und zu Stein zu erstarren, den Wind teilnahmslos und gleichmütig zu ertragen, das Licht der Sterne zu schlucken. Ich erlebe in dieser Nacht erstmals den Schrecken der Wüste, als ich, den Wagenspuren unserer Konvoipartner folgend, in die Wüste hinausgehe. Nur mit den Füßen kann ich die Spuren im Sand tasten, sehen kann ich sie nicht. Es ist Neumond, unterhalb des Horizonts herrscht einheitliches Schwarz, den Hügel vor mir erkenne ich nur als schwarzes Loch ohne Sterne, Eine Stunde vielleicht folge ich den Spuren, der Boden wird langsam fester, Sand weicht Stein, dann kann ich die Spuren vom Untergrund nicht mehr unterscheiden. Nur noch einige Meter trennen mich von der Hügelkuppe, so scheint es mir, und ich möchte feststellen, ob ich von dort nicht die Lichter unserer Reisekameraden sehen kann. Der Weg war weiter als ich dachte, und als ich die Kuppe erreiche, dehnt sich nur endlose Schwärze vor mir, ob Hügel folgen oder Tal, oder sich eine Ebene vor mir ausdehnt - ich kann es nicht ausmachen. Langsam taucht ein Gefühl der Verlorenheit auf. Ich glaube, mich im absoluten Nichts zu befinden. Meine Sinne weiten sich, sind bereit, jeden Ton, jeden Funken aufzunehmen — doch da ist nichts. Kein Rascheln, kein Tierlaut unterbricht diese Stille. Einzig die Sterne stehen unbeweglich, der kalte Wind streicht gleichförmig um mich herum, Zeit hat keine Bedeutung mehr. Das Bedürfnis entsteht, mich dieser Natur anzupassen, mich hinzusetzen und zu Stein zu erstarren, den Wind teilnahmslos und gleichmütig zu ertragen, das Licht der Sterne zu schlucken.
  
-Im Laufe der Jahrhunderte würde ich schmelzen: Die Erosion macht alles zu Sand. Es liegt eine unbestimmbare Großartigkeit in dieser Form der Hingabe. Die Entscheidung, den Weg zurück zu finden, zerreißt den Zauber des Augenblicks. Vielleicht war es nur ein vom Wind herübergewehter Gesprächsfetzen aus dem Camp, der mich aufrüttelte, oder es war meine fehlende Demut vor der Natur, die in mir den Gedanken an das Ziel meiner Reise und an die Lust am Leben aufkommen ließ.+Im Laufe der [[wiki:reisegenerationen|Jahrhunderte]] würde ich schmelzen: Die Erosion macht alles zu Sand. Es liegt eine unbestimmbare Großartigkeit in dieser Form der Hingabe. Die Entscheidung, den Weg zurück zu finden, zerreißt den Zauber des Augenblicks. Vielleicht war es nur ein vom Wind herübergewehter Gesprächsfetzen aus dem Camp, der mich aufrüttelte, oder es war meine fehlende Demut vor der Natur, die in mir den Gedanken an das Ziel meiner Reise und an die Lust am Leben aufkommen ließ.
  
 Zwar weiß ich noch nicht wie, aber ich werde meinen Sinnen eine * [[wiki:orientierung|Orientierung]] bieten, die mich zurückführt. Ob es nun die schwarze Silhouette des Horizonts oder ein mir eingeprägtes Orientierungsmuster des Hinwegs war, das mich die Spuren im Sand finden ließ, weiß ich nicht, doch mir schien die halbe Nacht vergangen, als ich mich auf dem sicheren Rückweg wußte und Stunden später zurück ins Lager fand. Zwar weiß ich noch nicht wie, aber ich werde meinen Sinnen eine * [[wiki:orientierung|Orientierung]] bieten, die mich zurückführt. Ob es nun die schwarze Silhouette des Horizonts oder ein mir eingeprägtes Orientierungsmuster des Hinwegs war, das mich die Spuren im Sand finden ließ, weiß ich nicht, doch mir schien die halbe Nacht vergangen, als ich mich auf dem sicheren Rückweg wußte und Stunden später zurück ins Lager fand.
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 Heute haben wir nur 100 Liter Diesel verbraucht, gestern noch 200 Liter; je nach Bodenbeschaffenheit reicht der Rest für l bis 3 Tage. Diesel wird für uns wichtiger als Wasser und Nahrung; bei jedem Tanken mischen wir MotorÖl und Waschbenzin bei, der Vielstoffmotor kann’s vertragen. Heute haben wir nur 100 Liter Diesel verbraucht, gestern noch 200 Liter; je nach Bodenbeschaffenheit reicht der Rest für l bis 3 Tage. Diesel wird für uns wichtiger als Wasser und Nahrung; bei jedem Tanken mischen wir MotorÖl und Waschbenzin bei, der Vielstoffmotor kann’s vertragen.
  
-Mittwoch. Ein Teil der Gruppe versinkt in Lethargie, die anderen halten weiterhin Ausschau nach dem Nil; im Osten sind jetzt größere Erhebungen sichtbar geworden, schroff und schwarz erscheinen sie aus der Entfernung. Irgendwann fahren wir stur drei Kilometer nach Süden, weil wir als Nil erkannt haben, was sich als Luftspiegelung erwies. Fata Morgana im Kopf. Panik kommt auf. Jeder stachelt mit seiner Angst die anderen auf — gemeinsam läßt sie sich besser ertragen.+Mittwoch. Ein Teil der Gruppe versinkt in Lethargie, die anderen halten weiterhin Ausschau nach dem Nil; im Osten sind jetzt größere Erhebungen sichtbar geworden, schroff und schwarz erscheinen sie aus der Entfernung. Irgendwann fahren wir stur drei Kilometer nach Süden, weil wir als Nil erkannt haben, was sich als Luftspiegelung erwies. [[wiki:fata_morgana|Fata Morgana]] im Kopf. Panik kommt auf. Jeder stachelt mit seiner Angst die anderen auf — gemeinsam läßt sie sich besser ertragen.
  
 Detlev wird hysterisch und redet ununterbrochen; Anna verkrampft sich auf ihrem Sitz und macht sich ganz klein; Hardi redet ständig von Notsituationen und stellt Verhaltensregeln auf. Wer eine Aufgabe hat, vertieft sich darin. Der Kurs wird immer flatteriger und richtet sich bald nur noch nach der Bodenbeschaffenheit, ein Fahren nach Kompaß ist nicht mehr möglich, da wir Schlangenlinien zwischen Sandverwehungen und Dünen fahren. Einmal bleiben wir fast stecken, zum ersten Mal, daß der FAUN es nicht zu schaffen scheint. Einige wollen zu Fuß weiter gehen. Detlev wird hysterisch und redet ununterbrochen; Anna verkrampft sich auf ihrem Sitz und macht sich ganz klein; Hardi redet ständig von Notsituationen und stellt Verhaltensregeln auf. Wer eine Aufgabe hat, vertieft sich darin. Der Kurs wird immer flatteriger und richtet sich bald nur noch nach der Bodenbeschaffenheit, ein Fahren nach Kompaß ist nicht mehr möglich, da wir Schlangenlinien zwischen Sandverwehungen und Dünen fahren. Einmal bleiben wir fast stecken, zum ersten Mal, daß der FAUN es nicht zu schaffen scheint. Einige wollen zu Fuß weiter gehen.
wiki/1985_sudan.1600491430.txt.gz · Zuletzt geändert: 2020/09/19 04:57 von norbert

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