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wiki:balkonien

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 ====== Balkonien ====== ====== Balkonien ======
-Ursprünglich spöttische Bezeichnung des Reiseziels, weil man nicht verreisen darf (eingeschränkte [[wiki:reisefreiheit|Reisefreiheit]]), kann (Leere im Portemonnaie) oder will ([[wiki:oknophilie|Oknophilie]]) und daher aus der [[wiki:notlage|Not]] eine Tugend macht, während alle anderen verreisen. Damit wird Balkonien zum trotzigen Distinktionsmerkmal der Unvermögenden.+Ursprünglich spöttische Bezeichnung des Reiseziels, weil man nicht verreisen darf (eingeschränkte [[wiki:reisefreiheit|Reisefreiheit]]), kann (Leere im Portemonnaie) oder will ([[wiki:oknophilie|Oknophilie]]) und daher aus der [[wiki:notlage|Not]] eine Tugend macht, während alle anderen verreisen. Damit wird Balkonien zum trotzigen Distinktionsmerkmal der Unvermögenden, der auch durch den [[wiki:spaziergang|Spaziergang]] nicht ersetzt werden kann; als neuer Trend seit den 1990er Jahren erscheint [[wiki:balconing|balconing]].
  
-Der Begriff dürfte in der Weltwirtschaftskrise in Berlin entstanden sein und findet sich erstmals dort 1933 in der Presse ((Berliner Lokal-Anzeiger vom 10. August 1933, siehe: ''Hans Schulz, Otto Basler'': //Deutsches Fremdwörterbuch// 2. A. de Gruyter, Berlin/New York 1996, Stichwort »Balkon, Balkonien«)) neben »Sommerfrische« und »Laubenkolonie«, 1964 als Gedichttitel ((''Berndal, Franz''. //Det kann nur een Berliner sein// Gedichte. Dannemaier Karlsruhe 1964)) sowie später als Nische für »Heimat« in der DDR ((//Zehn Jahre danach: Bildungswesen und Erziehungswissenschaft in Deutschland und Polen in vergleichender Perspektive//. 2004. Münster: Waxmann, S. 244)) neben Schrebergarten und Kleintierzüchter, also Teil kleinbürgerlicher Lebensformen. +Der Begriff dürfte in der Weltwirtschaftskrise in Berlin entstanden sein und findet sich erstmals dort 1933 in der Presse ((Berliner Lokal-Anzeiger vom 10. August 1933, siehe: ''Hans Schulz, Otto Basler'': //Deutsches Fremdwörterbuch// 2. A. de Gruyter, Berlin/New York 1996, Stichwort »Balkon, Balkonien«)) neben //[[wiki:Sommerfrische|Sommerfrische]]// und //Laubenkolonie//, 1964 als Gedichttitel ((''Berndal, Franz''. //Det kann nur een Berliner sein// Gedichte. Dannemaier Karlsruhe 1964)) sowie später als Nische für »Heimat« in der DDR ((//Zehn Jahre danach: Bildungswesen und Erziehungswissenschaft in Deutschland und Polen in vergleichender Perspektive//. 2004. Münster: Waxmann, S. 244)) neben //Schrebergarten// und //Kleintierzüchter//, also als Teil kleinbürgerlicher Lebensformen. Zu Corona-Zeiten wurde Balkonien zum Urlaubsort, während der Klimakrise zum Standort des Balkon-Kraftwerks ((''Sarah Obertreis'': //Flucht aus Balkonien: Wenn selbst Geranien verboten sind.// [[https://www.faz.net/-j7r-b7fdt|FAZ 24.05.2023]])).
  
-Seit etwa den 1990er Jahren erscheint Balkonien jedoch zunehmend als selbstgewählte Alternative zunächst aus Überdruss an »fernen Gefilden«dann immer häufiger ins Positive umgedeutet. Die »Heimreisenden« bleiben auf den //Dahamas// (österreichisch) und genießen das //Hygge//-Gefühl (dänischin den eigenen vier Wänden. +  * ''Felix Mitterer''\\ //Die Piefke-Saga//.\\ Komödie einer vergeblichen Zuneigung.\\ Haymon VerlagInnsbruck 1991, ISBN 978-3-85218-089-2.\\ Die //Piefke-Saga// wurde zwischen 1990 und 1993 als Vierteiler nach einem Drehbuch von Felix Mitterer produziert (NDR/ ORF, Regie ''Wilfried Dotzel'' und ''Werner Masten'' Teil 4). Gezeigt werden Begegnungen im Urlaub zwischen deutschen Touristen (Piefkes) und Österreichern, die als Komödie angelegt sind, satirisch bis absurd überhöht und manchmal provozierend, weil sie den »Heuhaufen wohlerworbener Klischees« (ORFüber »den Deutschen« und »den Österreicher« bedienen. 
-Der Faszination des Reisens ([[wiki:philobatie|Philobatie]]) und den mannigfaltigen  [[wiki:lebensreisestil|Lebensreisestilen]] wirken verschiedentliche Kräfte entgegen, die den Urlaub auf Balkonien deutlich aufwerten wie: +  * //Kleine Fluchten// (Les petites fugues; Chlini Sprüng)\\ Film145 Minuten, Schweiz 1979, RegieYves Yersin, produziert vom Filmkollektiv Zürich.
-  * Bedeutungsverlust des Reisens durch die [[wiki:globalisierung|Globalisierung]]; +
-  * [[wiki:overtourism|Overtourism]] und das Gefühl unerwünscht zu sein; +
-  * Flugscham wegen klimaschädlicher Folgen mancher Reiseformen (Flugzeug, Verbrennungsmotoren); +
-  * Kontaktbeschränkungen durch die Pandemie, [[wiki:coronaconform|coronaconformes Reisen]]. +
-Möglicherweise sind im Zusammenhang damit Phänomene zu erklären, die in neuerer Zeit vermehrt als immobile //Weniger-Reisen-Reisestile// begegnenetwa: +
-  * [[wiki:real_life_oder_virtual_reality|»virtuelle Realitäten«]] +
-  * [[wiki:cocooning|Cocooning]] +
-  * Echokammern  +
-  * [[wiki:fff|FFF]] +
-  * Flugscham +
-  * [[wiki:real_life_oder_virtual_reality#3Glokalisierung|Glokalisierung]] +
-  * [[wiki:hikikomori|Hikikomori]] +
-  * [[wiki:Interpassivität|Interpassivität]] +
-  * [[wiki:heimarbeit|Heimarbeit]] +
-  * [[wiki:staycation|Staycation]] +
-  * [[wiki:stubenhocker|Stubenhocker]] +
-  * [[wiki:Mind Wandering |Mind Wandering]]  +
-  * [[wiki:phantasieorte|Reisen zu Phantasieorten]] +
-  * [[wiki:virtuelle_reisen|Virtuelles Reisen]]+
  
-==== Nicht-Reisen als Wert ==== 
-Das christliche Denken des Mittelalters lehnte die [[wiki:currendi_libido|currendi libido]] ab; manch einem galt das Laufen als »böse, ansteckende Krankheit« ((Real-Enzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche: 17. Band: Westphal bis Zwingli, Nachträge: Abbot bis Hamberger, S. 186: Dorsten)). Die [[wiki:neugier|Neugier]] galt als Laster und als eitel galt, wer stolz seine Erlebnisse und Erfahrungen vortrug. Stattdessen galt die [[wiki:stabilitas_loci|stabilitas loci]] als erste Regel in vielen Klöstern.\\  
-Auch im Zuge der Globalisierung verlor das Reisen-an-sich seinen Wert, obgleich sich die Masse der Reisebewegungen von Rekord zu Rekord steigerte. Diese Reisebewegungen sind jedoch in erster Linie der weltweiten Ökonomie geschuldet, denn: 
-  - Der //Tourismus// dient der Erholung von der Arbeit. 
-  - //Multilokales Leben// verteilt die Arbeit auf weit voneinander entfernte Lebensmittelpunkte. 
-  - //Mobile Freizeitgestaltung// dient der Selbstoptimierung im Erwerbsleben. 
-Als Gegenpol dazu erscheint nicht mehr das Reisen, sondern der Rückzug in abgeschlossene Räume. 
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 siehe auch\\  siehe auch\\ 
-[[wiki:liste_der_unuebersetzbaren_reiserelevanten_begriffe|Liste der unübersetzbaren reiserelevanten Begriffe]]+[[wiki:liste_unuebersetzbarer_reisebegriffe|Liste der unübersetzbaren reiserelevanten Begriffe]]
wiki/balkonien.1620456942.txt.gz · Zuletzt geändert: 2021/05/08 06:55 von norbert

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