====== Blinder Passagier ====== Der Blinde [[wiki:passagier|Passagier]] ist gegenüber dem Verkehrsmittelbetreiber ein //Schwarzfahrer//, der sich versteckt. Hinzu kommt jedoch eine zweite Komponente, denn entweder ist er ein //unerwünschter Mitfahrer//, weil der Veranstalter den Teilnehmerkreis der [[wiki:fahrt|Fahrt]] exklusiv gebildet hat und/oder er nimmt sich eine [[wiki:reisefreiheit|Reisefreiheit]], die ihm rechtlich nicht zugebilligt wird, ist also beispielsweise auf der [[wiki:flucht|Flucht]], verlässt den [[wiki:staaten|Staat]] illegal über eine [[wiki:grenze|Grenze]], weil [[wiki:dokumente|Dokumente]] fehlen und gilt als //Flüchtling//.\\ Diesen drei Verhältnissen entsprechend drohen Sanktionen durch (beispielsweise) den Kapitän eines Schiffes, manchmal durch den Leiter der Fahrt, durch die Grenzbeamten des Zielstaates oder jene des verlassenen Staates, wenn der Blinde Passagier zurückgebracht wird. Oft vergessen werden die praktischen Bedürfnisse des blinden Passagiers, denn er muss trinken, benötigt [[wiki:proviant|Proviant]] und muss sich erleichtern können; insbesondere Letzteres ist in einem Versteck schwierig, weder spurenlos noch geruchlos möglich. Der //Blinde Passagier// der [[wiki:kutschen|Postkutschenzeit]] war dagegen jemand, der vom [[wiki:fuhrmann|Fuhrmann]] oder Kutscher ohne volle Bezahlung mitgenommen wurde, dann allerdings nicht in der Kabine, wie dies ''Johann Gottfried Richter'' 1798 beschrieb ((''Richter, J. G.''\\ //Bockssprünge, Narrenstreiche, Abentheuer und Genie-Reisen Johann Gottfrieds Richters, Zettelträgers beym Leipziger Theater: Nebst einer Anlage von seltenen und nützlichen Arkanis//. Leipzig 1798)): Wer jemals eine Reise als blinder Passagier gethan hat, wird mir Recht geben. Mein Sitz, den der Postillion mir hinter der Kutsche zubereitet hatte, war so äußerst elend und erbärmlich daß ich häufig abstieg, um meine Gelenke wieder einzuränken. Vor einer jeden Station mußte ich, wie gewöhnlich, eine Weile vorher absteigen, und ein gutes Stück zu Fuße wandern, bis ich wieder die Erlaubniß erhielt, mich aufsetzen zu dürfen. Am schlimmsten war das Ding in der Nacht. Während meine Herren in der Poststtube saßen, und sich bene sein ließen, stand ich unter freiem Himmel und klapperte mit den Zähnen. Im Englischen wird der Blinde Passagier eher neutral als //clandestine traveller// bezeichnet oder ursprünglich als stowaway. //Stowaway// bezeichnete im [[wiki:reisegenerationen#Ab dem 17. Jahrhundert|17. Jahrhundert]] ((//A New Voyage Round the World//, Band 1, 1689; Journals of the House of Lords, Band 11, 1637)) die verstauten [[wiki:lebensmittel|Lebensmittel]] und Vorräte und wurde dann auf die Person übertragen, vermutlich weil diese die Hohlräume dazwischen nutzte.\\ Im Französischen wird der //voyageur clandestin// 1719 erstmals erwähnt ((''Antoine Houdar de la Motte'': //Fables nouvelles//, 1719)) und auch //passevolant// genannt.\\ Der russische Ausdruck Безбилетник //bezbiletnik// bedeutet eher Schwarzfahrer und der Spitzname заяц `Hase´ lässt ahnen, welche Eigenschaften besonders gefragt sind. * //Der blinde Passagier//, in: ''Friedrich Gerstäcker'': //Die Flußpiraten vom Mississippi//. Aus dem Waldleben Amerikas. Zweyte Abteilung, Jena, Leipzig: O. Wigand, 1848, Kap. 29. S. [[http://www.zeno.org/nid/20004827341|402-411]]. * ''Stroux, Marily, Reimer Dohrn''\\ //Blinde Passagiere//\\ Es ist leichter, in den Himmel zu kommen als nach Europa.\\ Begleitband zur [[wiki:liste_ausstellungen|Ausstellung]] "Blinde Passagiere" Hamburg 1996; auch als gleichnamige Postkartenserie. 125 S., Frankfurt a.M. Brandes und Apsel 1998\\ Bilder und Texte zu Fluchtursachen, Fluchtwegen und dem behördlichen Umgang mit Flüchtlingen. * ''Stenmanns, Julian''\\ //Blinde Passagiere und die umkämpften Wege der Logistik//\\ Eine viapolitische Analyse des Lieferkettenkapitalismus.\\ S. 182-203 in: Oswald, Debora, Linda Schiel, Nadine Wagener-Böck: Wege: Gestalt - Funktion - Materialität. Berlin 2018: Reimer.