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Euphemismus

Als Reisende kennen wir das »Venedig des Nordens« (z.B. Papenburg), Elb-Florenz (Dresden), Klein-Paris (Leipzig), die nördlichste Stadt Italiens (wahlweise München oder Köln), die Toskana des Saarlandes (Bliesgau). Das nennt sich Euphemismus, weil das Etikett nur einseitig schmückt, denn andernfalls wäre Venedig das Papenburg der Adria, Florenz das toskanische Dresden und Paris wäre Klein-Leipzig 1).

Das Bedürfnis Dinge schönzureden entstand vermutlich in dem Augenblick, wo sich Kommunikation aufgelöst hat in Sprechen und Denken, denn in der Regel sagen wir nicht (alles), was wir denken. Das griechische euphemein bedeutet »Unangenehmes angenehm sagen« und will damit Wissen verunklaren, Illusionen nähren und Aufklärung vernebeln. Dagegen meinte Georg Orwell (1903-1950) dass Freiheit, wenn sie überhaupt etwas bedeutet, das Recht sei, den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollten (Nachwort zu Farm der Tiere).

Beispiele von Euphemismen

Ausländer Menschen mit Migrationshintergrund
Abriss Rückbau
dumm bildungsfern
entlassen freisetzen
Fälschung kreative Buchführung
Fleischabfälle Formfleisch
friedenserhaltende Maßnahmen Militäreinsätze
Gebühr Negativzinsen
Hausmeister Facility Manager
käseähnliches Industrieprodukt Analogkäse
Krankenkasse Gesundheitskasse
Krieg stockender Friedensprozess
Massentötungen Ethnische Säuberungen
Müllhalde Entsorgungspark
Putzfrau Raumpflegerin
schlecht suboptimal
steigende Kosten Beitragsanpassung
Sterben Frühableben
Stillstand Nullwachstum
Vertreibung Umsiedlung
unfähig förderungswürdig, stets bemüht
Verlust Gewinnwarnung
verschleppen brutalstmögliche Aufklärung
Werbung Verbraucherinformation
zivile Tote Kollateralschäden
Ausflug Mikroabenteuer
Heimarbeit Corona-Ferien
Korrosion Patina
spazieren gehen Waldbad
Unfallfolgen Bagatellschaden

Zwischen Schönfärberei und Täuschung

Schönfärberei will etwas verstecken. Wer etwas versteckt, will etwas vor anderen verbergen.
Das einfachste wäre dann, gar nicht darüber zu reden.
Warum also redet man über etwas, das man verbergen möchte und hübscht es sprachlich so auf, dass es nach etwas anderem aussieht?
Gemeinhin redet man in solchen Fällen von Täuschung, genauer von Irreführung.
Formulierungen werden gezielt so gewählt, dass eine Fehlvorstellung entsteht.
Diese soll einen anderen Sachverhalt vortäuschen.
Das Motiv zur Täuschung findet sich in Eigennutz, Werbung oder Propaganda und bedient sich natürlicher Neigungen des Menschen: Illusionen, Annahmen, Bequemlichkeit.

Kataloge, Diplomaten und political correctness

Die Erfahrung hat uns gelehrt, alltägliche Euphemismen in Reisekatalogen, beim Gebrauchtwagenkauf oder Immobilien zu erkennen. Die Gratwanderung zwischen Aufhübschen und Täuschung gelingt nicht immer, wie zahlreiche Gerichtsentscheidungen zeigen.

Andere Euphemismen sind innerhalb von Berufsgruppen üblich, so verstehen Diplomaten und Juristen Formulierungen anders als Außenstehende. Wer aber nicht durch Argumente überzeugen kann, weicht aus:

  1. ein pausenloser Redefluss mit sprachlichen Nebelbomben erzeugt eine akustische Lufthoheit, die auf Tricks durch Ablenken, Manipulieren und Täuschen hinweist;
  2. die »loaded question« ist eine Frage, die
    erstens mit einer Unterstellung aufgeladen ist;
    zweitens unangreifbar ist, denn »Man wird ja wohl noch fragen dürfen«
    und drittens dem Befragten die Beweislast für das Gegenteil aufbürdet. 2)

Schließlich gibt es den politisch gewollten Euphemismus. Political correctness entzieht sich dem gesunden Menschenverstand und widerspricht allen Sprechgewohnheiten. Beamte vom Amtsleiter bis zum Polizisten können sich diesen Sprachregulierungen jedoch nicht entziehen, obwohl die Basis für diese Art des Aufhübschens in ideologische Glaubenseinstellungen zu finden ist und unterschiedliche *Weltanschauungen bedient. Das Problem dabei ist: Was gestern noch ein verschleierndes Hüllwort war, kann heute politisch korrekt werden. Diese Sprachregelung erklärt andere Sichtweisen und Gewohnheiten als nicht korrekt. Damit einher geht ein moralisches Sprechtabu.

Die unabhängigen Massenmedien fühlen sich einerseits der Öffentlichkeit verpflichtet, folgen andererseits jedoch ideologischen Blöcken. Dementsprechend entwickeln die Redaktionen interne Sprachregelungen und zeigen damit an, wem sie folgen.


Neben neutraler Fachsprache und deftigem Jargon beeinflussen auch * wiki (Euphemismus) und politisch korrekte Sprache unsere Begriffsbildungen.

1)
mehr siehe: Richard Deiss\\Elbflorenz und Sprayathen
555 Städtebeinamen und Stadtklischees von Blechbudenhausen bis Schlicktown. 2013 BoD
2)
Bodenheimer, Aron Ronald
Warum? von der Obszönität des Fragens.
Stuttgart Reclam 2011