====== Gast ====== Medea: Töten willst du, den Fremden, den Gast? Aietes: Gast? Hab' ich ihn geladen in mein Haus? Ihm beim Eintritt Brot und Salz gereicht Und geheißen sitzen auf meinem Stuhl? Ich hab' ihm nicht Gastrecht geboten, Er nahm sich's, büß' er's der Tor! Franz Grillparzer Teil der Trilogie »Das goldene Vlies« (1821): Der Gastfreund, Die Argonauten, Medea Der [[wiki:fremdes|Fremde]], der mit einem Geschenk in eine Gemeinschaft eintritt, wird bei vielen Völkern mißtrauisch betrachtet, denn weit verbreitet ist die Haltung, daß ein Geschenk durch ein Gegengeschenk beantwortet werden muß ((''J. Makarewicz''\\ //Einführung in die Philosophie des Strafrechts// a.a.O. Seite 284)). Das passende Gegengeschenk für einen Fremden wäre dann die Gastfreundschaft. Doch will man den Fremden als Gast aufnehmen? Die Institution der [[wiki:herberge|Herberge]] umgeht das Problem, indem der Gast zum Kunden wird. Das hebräische Wort für Gast setzt sich zusammen aus //gèr//, Fremder, und //tosàb//, Einheimischer, und zeigt an, daß dem Gast eine Stellung zwischen beiden zukommt. Zwischen Gast und Feind finden sich die ursprünglichen Begriffe im Griechischen, Lateinischen, Deutschen, Englischen. Das lateinische Wort //hostis//, der Feind, und das deutsche Wort //Gast// entstanden aus derelben Sprachwurzel. Als Gast bezeichnete man noch bis zum Ende des Mittelalters den reisenden Krieger; im Englischen bezeichnet //host// noch heute den Hausherrn ebenso wie die Heerschar oder die //Hostie// ((germ. *gasti-, *gastiz; idg. *ghostis »dasz hostis, gast urspr. der fremde ist, der nach der sitte, die noch in sagen nachklingt, als feind den göttern geopfert, zugleich aber, wie jedes blutige opfer, von den opfernden als frommes mahl verzehrt wurde als hostia humana, und der anklang von hostis und hostia kann diese annahme wol stützen« [Grimms Wörterbuch])). Der ältere Grundsatz, den Fremden als Feind zu betrachten und zu behandeln, wurde geschichtlich erst im Nachhinein durch das Gastrecht gemildert. Das Gastrecht erwächst aus der persönlichen Begegnung und gilt begrenzt für Zelt, Haus, Wohnplatz. Der Gastgeber kann Gastrecht befristet gewähren, doch ist der Fremde kein Gastnehmer, der Anspruch auf Gastrecht hat. Es wird schließlich symbolisch bekräftigt: mit Brot und Salz, einem Geschenk, mit Handschlag und einer Aufforderung, etwa »über die Schwelle« zu treten. Die Schwelle symbolisiert einen [[wiki:uebergang|Übergang]]: dort ändern sich Rechte; dafür sind [[wiki:reisegoetter|Schutzgottheiten]] zuständig. Für den [[wiki:zwischenraum|Zwischenraum]] entstand in mittelalterlicher Zeit das [[wiki:geleitswesen|Geleitswesen]] aus öströmischen Wurzeln und nach Entstehung der National[[wiki:staaten|staaten]] der [[wiki:reisepass|Reisepass]], schließlich wurden auch [[wiki:versicherungen|Versicherungen]] angeboten. Gast kann nur werden, der zu gehen beabsichtigt. Viele [[wiki:sprichwoerter|Sprichwörter]] formulieren überlieferte und bewährte Verhaltensnormen: Bewirte deine Gäste, aber behalte sie nicht! (chines.) Auch des liebsten Gastes ist man in drei Tagen satt. (jugosl.) Der Gast und der Fisch sind nach drei Tagen anrüchig. (span.) Dahinter »stehen Hypothesen über zufriedenstellendes Zusammenleben einer Gemeinschaft, die sich als »Angewandte Lebenserfahrung« interpretieren lassen … bedeutsam [ist], daß der Sachverhalt vom Volksmund akzeptiert und für wichtig genug gehalten wurde, tradiert zu werden« ((''Siegfried Müller'': //Können Sprichwörter bei der Entwicklung psychologischer Theorien helfen?// In: Zeitschrift für angewandte Sozialpsychologie. 29 (1998) Heft 1. [http://psychologie.fernuni-hagen.de/Psychologie/SOZPSYCH/GD/Artikel/Mueller.html])). Keinesfalls und nirgends ist das Gastrecht von Dauer. Der Gast fällt, sobald die Gastfreundschaft beendet ist, in den Zustand des ungeschützten Fremden, des Eindringlings oder gar des Feindes zurück. Migranten sind keine Gäste. Die italienische Philosophin denkt über die Stellung des "Ansässigen Fremden" in unserer Gesellschaft nach, vor dem Hintergrund von [[wiki:staaten|Staatsgewalt]], [[wiki:territorien|Territorium]] und [[wiki:souveraenitat|Souveränität]]. * ''Cesare, Donatella di''\\ //Philosophie der Migration.//\\ Aus dem Italienischen von Daniel Creutz. 343 S. Berlin 2021: Matthes & Seitz ==== Literatur ==== * ''Hans-Dieter Bahr''\\ //Die Sprache des Gastes. Eine Metaethik//.\\ Reclam Leipzig 1994 * ''Bolchazy, Ladislaus''\\ //From Xenophobia to Altruism : Homeric and Roman Hospitality//.\\ The Ancient World, 1.1 (1978) 45-64. * ''Berger, Jutta Maria''\\ //Die Geschichte der Gastfreundschaft im hochmittelalterlichen Mönchtum.//\\ Die Cistercienser.\\ Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1996/97. 428 S. Berlin Akad.-Verl. 1999 * ''Derrida, Jacques''\\ //Von der Gastfreundschaft//\\ 156 S., Aus dem Französischen von Martin Sedlaczek, Wien 2001: Passagen. * ''Friese, Heidrun''\\ //The Limits of Hospitality//\\ Political Philosophy, Undocumented Migration and the Local Arena.\\ European Journal of Social Theory. 13.3 (2010) 323-341. * ''Hellmuth, L.''\\ //Gastfreundschaft und Gastrecht bei den Germanen//\\ 382 S., Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften, 1984 * ''Hiltbrunner, Otto''\\ //Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum//\\ 392 S., Darmstadt WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2012 * ''Jezierski, Wojtek''\\ //Convivium in terra horroris: Helmold of Bosau’s Rituals of Hostipitality.//\\ S. 139–174 in: Wojtek Jezierski, Lars Hermanson, Hans Jacob Orning and Thomas Småberg (Hg.): Rituals, Performatives, and Political Order in Northern Europe, c. 650–1350. Turnhout 2015: Brepols * ​ ''Gerhard Kurz''\\ //Sind Fragen nach der Herkunft ausgrenzend?//\\ FAZ 02.12.2020\\ Reflexion über die erste Frage beim Begegnen zweier Menschen an Beispielen: »von wannen kommst du und welche Leiden littest du?« fragte der Schweinehirt ''Eumäos'' den heimkehrenden ''Odysseus'' (Homer) und so fragte auch ''Iphigenie'' den ''Pylades'' (Goethe) und so fragt auch der kleine Prinz (''Saint Exupéry''). Und der aufklärerische, vernünftige ''Voltaire'' fragt nach dem Sinn: »Wer bist Du? Woher kommst Du? Wohin wirdst du gehen?« ((''Voltaire'': //Mélanges//. Texte etabli et annote par ''Jacques van den Heuvel''. Paris: Gallimard, 1961. Anm. 5, 877)) * ''Loycke, Almut''\\ //Der Gast, der bleibt : Dimensionen von Georg Simmels Analyse des Fremdseins.//\\ Frankfurt a. 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