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wiki:gewaesser

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Gewässer

Die Begriffe See und Meer zu unterscheiden führt zu eklatanten Widersprüchen: Das Steinhuder Meer in Niedersachsen ist von Festland umgeben, die Ostsee und das Mittelmeer aber auch, die Nordsee dagegen nicht. Das „offene Meer“ wird im Englischen und Niederdeutschen zur „See“. Bei Übersetzungen in die romanischen Sprachen der Mittelmeervölker wird See in der Regel durch mare, mer übersetzt.

In zusammengesetzten Wörtern ist `See´ als Erstglied (Bestimmungswort) mit fast 80 Komposita 1) erheblich produktiver als `Meer´ mit nur 33. Und obwohl beide Begriffe im Grunde bedeutungsgleich sind, lassen sie sich in den Komposita nur selten austauschen. 2) Es gibt die Seekrankheit und die Seenot, aber nicht die Meeresnot; die Seemöwe (lat. larus marinus), aber keine Meermöwe, gleichermaßen Seeschwalbe und Seevogel (lat. anas fera marina) doch die lateinischen Übersetzungen zeigen immer nur `Meer´ (mare) , niemals See (lacus).

Etymologisch bezeichnen sowohl der See als auch das größere Meer ursprünglich beide stehende Gewässer im Unterschied zum fließenden kleinen Bach oder großen Fluss, wobei das Meer `mehr´ als der `See´ war, jedoch wird `die See´ dem lateinischen Mare ebenbürtig (GfdS). Wieso nun die romanischsprachigen Völker am Mittelmeer zum Meer neigen, dagegen deutsch, englisch und niederländisch zur See und die nordgermanischen Sprachen (Dänisch, Norwegisch, Schwedisch, Isländisch) das Meer und die See als haf mit der Bedeutung `heben, aufsteigen´ (wegen der Wellen?) bezeichnen, scheint ungeklärt zu sein. Sicher werden dabei die Migrationserfahrungen in unterschiedlichen Landschaften eine Rolle gespielt haben.

Die Sprachwurzeln von See und Meer werden zudem oft als alteuropäisch gedeutet, wären also älter als die indogermanischen Sprachen. 3) Die Wortwurzeln von Meer und See sind auch in nichtindogermanischen Sprachen fruchtbar, etwa im Türkischen, Mongolischen, Finnischen, Estnischen, Lappischen, Samojedischen, Baskischen und den Kaukasussprachen.

Der Gedanke, dass es Erdteile gibt und diese von Wasser umgeben sind, findet sich bei den Völkern des Mittelmeerraumes, nicht im Inneren Europas mit dessen Weltenbaum. `Ozean´ ist eine griechische Raumvorstellung (Ōkeanós Ὠκεανός) und wurde mit Weltmeer übersetzt, weil Meer alleine nicht so umfassend sein konnte.


  • Kostrova, Olga, Bespalova, Ekaterina
    Das Konzept Meer in der deutschen und russischen Linguokultur.
    in: Linguistische Studien und Anwendungsfelder (=Stettiner Beiträge zur Sprachwissenschaft, 6). Hrsg. Ryszard Lipczuk, Magdalena Lisiecka-Czop, Krzysztof Nerlicki. Hamburg 2015: Verlag Dt. Kovač
  • Göbel Anton
    Das Meer in den Homerischen Dichtungen. Homerische Untersuchungen.
    Zeitschrift für das Gymnasialwesen 9 (1855) 513–640. 1. Unterschied der einzelnen Bezeichnungen. 2. Bedeutung und Gebrauch der Epitheta des Meeres.
1)
WDG, Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache
2)
Wolfgang Fleischer
Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache.
2012. S. 135 Unterschiede in der Kompositionsaktivität mit dem Beispielpaar Meer/See.
3)
Iva Welscher
Slav. Bara, lat. Mare, dt. Meer: Toponyme und Appellative mit der alteuropäischen Basis *bar-
S. 127–156 in: Robert Mailhammer (Hg.), Theo Vennemann (Hg.) The Linguistic Roots of Europe : Origin and Development of European Languages. XVI, 320 S. Copenhagen 2016: Museum Tusculanum. Online
wiki/gewaesser.1689780909.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/07/19 15:35 von norbert

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