Heute hier, morgen dort

Ein Geflügeltes Wort, aber nicht erst seit Hannes Wader das Lied mit diesem Titel 1972 sang und damit populär machte.

Sein adliger Dichterkollege Ritter Karl Johann Braun von Braunthal hat es vor fast 200 Jahren als Wanderlied gedichtet, offensichtlich adressiert an den Taugenichts und den Bruder Leichtfuss 1)

Als Geflügeltes Wort ist es jedoch noch älter und wird bereits 1646 wie selbstverständlich im Schriftdeutschen verwendet 2).

Heute hier und morgen dort!

Ein Wanderlied

Heute hier und morgen dort!
Wer es so kann halten,
Immerdar an einem Ort,
Macht den Geist veralten;
Wechsel zeitigt den Verstand,
Macht den Witz behender,
Wechsle nicht das Vaterland,
Nur - die Vaterländer.

Heute hier und morgen dort!
Laß den Schwager blasen,
Hin durch Berg' und Thäler fort,
Straßenstaub und Rasen;
Schwager, fort, hier hast du Geld,
Sind so jung an Jahren,
Offen steht die weite Welt,
Frisch hinein gefahren!

Heute hier und morgen dort!
Ueb'rall blühen Rosen;
Kränkt dich eines Deutschen Wort,
Sprich mit den Franzosen:
Bist du des Geplauders satt,
Schiff nach England über
Oder schwimm durch's Kattegat
Zu den Schweden 'nüber.

Heute hier und morgen dort!
Ueb'rall singt man Lieder,
Ueb'rall schließt ein freundlich Wort
Herzen auf im Mieder;
Bei der Fremden bist du neu,
Wirst nicht lang' dich quälen;
Ueb'rall sind die Weiber treu,
Kann davon erzählen!

Heute hier und morgen dort!
Ueb'rall wachsen Reben,
kannst im Süden wie im Nord
Bacchus lassen leben;
Fegte dort die Römerin
Dir die Börse, Schlemmer,
So erhol' im Rheinland drin
Dich am vollen Römer.

Heute hier und morgen dort!
Ueb'rall blüh’n Citronen,
und ein Held trifft, auf mein Wort!
Rhum in allen Zonen;
Nicht blos, wo der Pfeffer wächst,
Blüht des Lebens Würze:
Lebens Reiz besteht zunächst
In des Tages Kürze.

Heute hier und morgen dort!
Willst du einmal freien,
Bräute gibt's an jedem Ort,
Doch - es wird dich reuen.
Fallax omnis femina,
Teutsch: Falsch sind die Weiber!
Weiber, ach, das weißt du ja,
Sind nur Ruheräuber.

Heute hier und morgen dort !
Ueb'rall kannst du sterben,
Findest, willst du einmal fort,
Ueb'rall frohe Erben.
Was ein echter Wandersmann,
Auf den Tod fich freue,
Denn das Wandern geht ja dann
Frisch vom Fleck aufs Neue.

1)
Braun von Braunthal, Karl Johann
Morgen, Tag und Nacht aus dem Leben eines Dichters: Gedichte.
438 S. Leipzig 1834: A.Reimann.
2)
Grotnitz von Grodnau, Carl Melchior
C. M. Grootnitzen Neuauffgeführter Geschicht-Seule[n] … 2
Leiptzich: Ritzsch Stettin Mamphras 1647 S. 405