Robert Musil
(1880 - 1942) meinte, dass es ergänzend zum Wirklichkeitssinn auch einen Möglichkeitssinn geben müsse. Dazu lässt er die Hauptfigur in seinem Roman Mann ohne Eigenschaften sagen:
»Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muss geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müsste geschehn; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.« 1)
Ein solcher Möglichkeitssinn ist von praktischem Nutzen bei der Orientierung im Raum, insbesondere dann, wenn Straße und Wegweiser fehlen, etwa zu Fuß in den Bergen unterwegs.
Daher ist er bei Reisenden ausgeprägt und für Abenteuer unerlässlich und wird so zu einer wichtigen Komponente eines Lebensreisestiles. Damit stellt er sich gegen die vorgeblich alternativlosen Möglichkeiten entweder der normativen Kraft des Faktischen zu weichen oder die faktische Kraft des Normativen durchzusetzen. Damit führt der Möglichkeitssinn in die Nähe des Tricksters oder des Weisen Narren, weil eben keine scharfe Grenze zwischen Unmöglichem und Möglichem erkennbar ist. Wer auf einer scharfen Grenze besteht, setzt freiwillig Scheuklappen auf, die Handlungsmöglichkeiten auschließen. Dies nicht zu tun entspricht dem Prinzip der Serendipity und den Handlungsmöglichkeiten beispielhafter Figuren. Darüber hinaus beginnt allerdings das Reich der Phantasie mit den Reisen zu phantastischen Orten.
Jonas Lages
: Robert Musil hat's gewusst. Die ZEIT 23. Januar 2021