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wiki:universalismus

Universalismus oder Relativismus?

»Im Auslegen seid frisch und munter!
Legt ihr's nicht aus, so legt was unter."
Johann Wolfgang Goethe, Xenien, FA I.2, 636

Welche Wertvorstellungen gelten universell? Dies ist eine aktuell brennende Frage, etwa wenn Staaten die Regierungsform der Demokratie in Russland, Ungarn, den USA oder Großbritannien sehr unterschiedlich auslegen oder gar grundsätzlich ablehnen (China).

Der Ethnologe Clifford Geertz vertritt einen radikalen Relativismus 1). Natur und Wissen entstünden lokal und müssten sich lokal bewähren. Zweifelsohne erwüchse daraus überall »Kultur«, doch sei diese »fluid«, ein sich ständig veränderndes Gewebe. Daher könne es auch keinen Universalismus geben wie etwa »die« Menschenrechte oder »die« Demokratie. In Deutschland beschäftigt sich der Ethnologe Christoph Antweiler 2) intensiv mit den Themen:

  • Gesellschaftliche Naturverhältnisse (politische Ökologie)
  • Regionale Identität
  • Lokales Wissen
  • Universalien als pankulturelle Kulturmuster
  • Kulturelle Evolution als langfristiger Kulturwandel

Joseph Henrich führte 2010 die Abkürzung WEIRD in die Diskussion ein:

  • Zunächst zeigte er, dass die Verhaltenswissenschaften in ihren experimentellen Studien meist einen Verfahrensfehler aufweisen, weil einseitig WEIRD-People als Probanden ausgewählt wurden 3).
  • In einer weiteren Studie prüfte er, ob sich unterschiedliche ethnische Gruppen bei Verhaltensexperimenten unterscheiden. Tatsächlich war dies der Fall. Damit aber stehen die Universalismen in Frage 4).
  • Eine dritte Studie sollte herausfinden, was die WEIRD-People von anderen ethnischen Gruppen unterscheidet. Ein heikles Feld, denn wenn alle Menschen gleich sind, darf es keine Unterschiede geben. Henrich etal fanden sie dennoch, hier frei übersetzt (Google): »Neuere Forschungen bestätigen nicht nur die Existenz erheblicher psychologischer Unterschiede auf der ganzen Welt, sondern unterstreichen auch die Besonderheit vieler westlicher Bevölkerungsgruppen. Wir schlagen vor, dass ein Teil dieser Variation auf das Wirken und die Verbreitung der westlichen Kirche zurückzuführen ist, dem Zweig des Christentums, der sich zur römisch-katholischen Kirche entwickelte. Insbesondere schlagen wir vor, dass die Umgestaltung der europäischen Verwandtschaft durch die westliche Kirche durch die Förderung kleiner Kernhaushalte, schwacher familiärer Bindungen und Wohnmobilität zu mehr Individualität, weniger Konformität und „impersonal prosociality“ geführt hat.« 5).
    Ulf von Rauchhaupt hat das in der FAZ schön beschrieben:
    Der Segen der Kirche FAZ 24.11.2019.

siehe auch

1)
Clifford Geertz
Welt in Stücken. Kultur und Politik am Ende des 20. Jahrhunderts
Übersetzt von Herwig Engelmann, Passagen, Wien, 2. Aufl. 2007, ISBN 978-3-85165-785-2
2)
Was ist den Menschen gemeinsam? Über Kultur und Kulturen
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007 2., erweiterte und überarbeitete A. 2009
Heimat Mensch. Was uns alle verbindet.
Murmann Verlag, Hamburg 2009
Mensch und Weltkultur. Für einen realistischen Kosmopolitismus im Zeitalter der Globalisierung
Transcript, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1634-7
3)
J. Henrich, S. Heine, A. Norenzayan
The Weirdest People in the World?
Behavioral and Brain Sciences Band 33, 2010, S. 61–135
4)
J. Henrich, J. Ensminger, R. McElreath, A. Barr, C. Barrett, A. Bolyanatz, J. C. Cardenas, M. Gurven, E. Gwako, N. Henrich, C. Lesorogol, F. Marlowe, D. P. Tracer, J. Ziker
Market, religion, community size and the evolution of fairness and punishment.
In: Science. Band 327, 2010, S. 1480–1484
5)
Jonathan F. Schulz, Duman Bahrami-Rad, Jonathan P. Beauchamp, Joseph Henrich
The Church, intensive kinship, and global psychological variation
Science Ausgabe 6466, Band 707, 8. November 2019
wiki/universalismus.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/21 06:16 von norbert

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