Richard Deiss
\\Elbflorenz und Sprayathen555 Städtebeinamen und Stadtklischees von Blechbudenhausen bis Schlicktown. 2013 BoD
Als Reisende kennen wir das »Venedig des Nordens« (z.B. Papenburg), Elb-Florenz (Dresden), Klein-Paris (Leipzig), die nördlichste Stadt Italiens (wahlweise München oder Köln), die Toskana des Saarlandes (Bliesgau). Das nennt sich Euphemismus, weil das Etikett nur einseitig schmückt, denn andernfalls wäre Venedig das Papenburg der Adria, Florenz das toskanische Dresden und Paris wäre Klein-Leipzig 1).
Das Bedürfnis Dinge schönzureden entstand vermutlich in dem Augenblick, wo sich Kommunikation aufgelöst hat in Sprechen und Denken, denn in der Regel sagen wir nicht (alles), was wir denken. Das griechische euphemein bedeutet »Unangenehmes angenehm sagen« und will damit Wissen verunklaren, Illusionen nähren und Aufklärung vernebeln. Dagegen meinte Georg Orwell
(1903-1950) dass Freiheit, wenn sie überhaupt etwas bedeutet, das Recht sei, den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollten (Nachwort zu Farm der Tiere).
Ausländer | Menschen mit Migrationshintergrund |
Abriss | Rückbau |
dumm | bildungsfern |
entlassen | freisetzen |
Fälschung | kreative Buchführung |
Fleischabfälle | Formfleisch |
friedenserhaltende Maßnahmen | Militäreinsätze |
Gebühr | Negativzinsen |
Hausmeister | Facility Manager |
käseähnliches Industrieprodukt | Analogkäse |
Krankenkasse | Gesundheitskasse |
Krieg | stockender Friedensprozess |
Massentötungen | Ethnische Säuberungen |
Müllhalde | Entsorgungspark |
Putzfrau | Raumpflegerin |
schlecht | suboptimal |
steigende Kosten | Beitragsanpassung |
Sterben | Frühableben |
Stillstand | Nullwachstum |
Vertreibung | Umsiedlung |
unfähig | förderungswürdig, stets bemüht |
Verlust | Gewinnwarnung |
verschleppen | brutalstmögliche Aufklärung |
Werbung | Verbraucherinformation |
zivile Tote | Kollateralschäden |
Ausflug | Mikroabenteuer |
Heimarbeit | Corona-Ferien |
Korrosion | Patina |
spazieren gehen | Waldbad |
Unfallfolgen | Bagatellschaden |
Schönfärberei will etwas verstecken. Wer etwas versteckt, will etwas vor anderen verbergen.
Das einfachste wäre dann, gar nicht darüber zu reden.
Warum also redet man über etwas, das man verbergen möchte und hübscht es sprachlich so auf, dass es nach etwas anderem aussieht?
Gemeinhin redet man in solchen Fällen von Täuschung, genauer von Irreführung.
Formulierungen werden gezielt so gewählt, dass eine Fehlvorstellung entsteht.
Diese soll einen anderen Sachverhalt vortäuschen.
Das Motiv zur Täuschung findet sich in Eigennutz, Werbung oder Propaganda und bedient sich natürlicher Neigungen des Menschen: Illusionen, Annahmen, Bequemlichkeit.
Die Erfahrung hat uns gelehrt, alltägliche Euphemismen in Reisekatalogen, beim Gebrauchtwagenkauf oder Immobilien zu erkennen. Die Gratwanderung zwischen Aufhübschen und Täuschung gelingt nicht immer, wie zahlreiche Gerichtsentscheidungen zeigen.
Andere Euphemismen sind innerhalb von Berufsgruppen üblich, so verstehen Diplomaten und Juristen Formulierungen anders als Außenstehende. Wer aber nicht durch Argumente überzeugen kann, weicht aus:
Schließlich gibt es den politisch gewollten Euphemismus. Political correctness entzieht sich dem gesunden Menschenverstand und widerspricht allen Sprechgewohnheiten. Beamte vom Amtsleiter bis zum Polizisten können sich diesen Sprachregulierungen jedoch nicht entziehen, obwohl die Basis für diese Art des Aufhübschens in ideologische Glaubenseinstellungen zu finden ist und unterschiedliche *Weltanschauungen bedient. Das Problem dabei ist: Was gestern noch ein verschleierndes Hüllwort war, kann heute politisch korrekt werden. Diese Sprachregelung erklärt andere Sichtweisen und Gewohnheiten als nicht korrekt. Damit einher geht ein moralisches Sprechtabu.
Die unabhängigen Massenmedien fühlen sich einerseits der Öffentlichkeit verpflichtet, folgen andererseits jedoch ideologischen Blöcken. Dementsprechend entwickeln die Redaktionen interne Sprachregelungen und zeigen damit an, wem sie folgen.
Özlem Topcu
Christian Götzinger
untersuchte in seiner wissenschaftlichen Hausarbeit an der TU Darmstadt 2013 die These: »Politische Akteure sind sich der euphemistischen Wirkung ihrer gewählten Bezeichnungen bewusst. Sie verwenden diese gezielt zur Irreführung der Öffentlichkeit über gegebene Tatsachen, um sich selbst und die eigenen Gruppe – also Partei, Regierung und/oder Ressort – in ein besseres Licht zu rücken und somit den Machterhalt, in Form einer erneuten Wiederwahl, zu sichern.« Neben neutraler Fachsprache und deftigem Jargon beeinflussen auch * wiki (Euphemismus) und politisch korrekte Sprache unsere Begriffsbildungen.