Ein Segen (lat. Signum 'Zeichen', engl. Journey charm, blessing ) soll überirdisches Heil übertragen und in bedrohlichen Situationen helfen. Den vertrauten Raum zu verlassen und im Zwischenraum unterwegs zu sein bedeutet sich in Gefahr zu begeben, der Segen wurde entsprechend angepasst: pro iter agentibus, pro navigantibus, pro peregrinantibus.
Reisesegen zeigen Wurzeln bei christlichen Heiligen (Patrone) in den Gebeten irischer Wandermönche (loricae), im Alten Testament (Tobias), im heidnischen Glauben (Reisegötter) und im Aberglauben. Allerdings führt auch der Glaube die Menschen in den Zwischenraum, etwa bei Pilger- und Wallfahrten, zu heiligen Bergen und heiligen Orten, zu Orakeln und Wunderstätten.
Reisesegen gehören heute zur christlichen Kirche 1), werden jedoch überall dort praktiziert, wo sich Menschen in ein Unterwegs-Sein verabschieden und mit guten Wünschen verabschiedet werden: „Ich wünsche Dir … auf allen Deinen Wegen.“ Dabei kommt es auf die Perspektive an:
Der Ausfahrtsegen ist meist in der Ich-Form verfasst und wurde vom Gehenden gesprochen (Münchner Ausfahrtsegen). Gemeint ist damit ein morgendliches Gebet, das sich auf das beginnende Tagewerk bezieht, also in der Regel keine Reise meint.
Der
Reisesegen ist dagegen ein symbolisches
Geleit, in der Du-Form formuliert und dem Gehenden mitgegeben, ist von Gesten begleitet (schützende Hand, Kreuzzeichen) und möglichen symbolischen Gaben (Amulett, Glücksbringer, Kreuz,
Christophorus-Medaille …).
Segenssprüche aus dem 8. Jahrhundert vor Christus lassen neben dem Schutz des Individuums im Alltag auch den Bereich
Kampf und Krieg erkennen.
2)
„Bedeutungsvoll im germanischen Heidenthum“ 3) sollte der Reisesegen als Reiseschutzzauber helfen, über Feinde zu siegen, etwa indem deren Waffen stumpf werden sollten und die eigenen scharf oder indem ein symbolischer Schutz erfleht wurde (Friedhemd, Siegring, Sieggürtel): »ich dir nâch sihe ich dir nâch sende mit mînen vünv vingeren / vünve unde vünvzic engele got dich gesunde heim dich gesende« … So beginnt der Weingartner Reisesegen, mit dem Tobiassegen einer der beiden ältesten althochdeutschen Zeugnisse.
Friedrich Hälsig
Der Zauberspruch bei den Germanen bis um die Mitte des XVI. Jahrhundert.
XI, 110 S. Diss. Universität Leipzig 1910: Seele. hier: S. 4, 49
Haeseli, Christa M.
Magische Performativität. Althochdeutsche Zaubersprüche in ihrem Überlieferungskontext.
Dissertation 255 S. Würzburg 2011: Königshausen & Neumann.
Inhalt
Hoffmann-Krayer, E.
Zum Eingang des Weingartner Reisesegens.
8 (1904-1905) 65, hier: S. 113 f.
DOI
Der dort zitierte Liebessegen der „Stammlerin“ (Sie wurde als Hexe verbrannt) zeigt Parallelen zum Weingartner Reisesegen (
Ich sieh dir nâch und sende dir nâch …).
Stuart, Heather
'Ic me on þisse gyrde beluce': the Structure and Meaning of the Old English„ Journey Charm.
Medium Ævum 50.2 (1981): 259-273.
Online
Batten, Caroline R.
hand over head: a possible reference to the old english metrical psalms in the ‘journey charm.’
Medium Ævum, 90.1 (2021) 143–48.
Online
Karel Felix Fraaije
Magical Verse from Early Medieval England: The Metrical Charms in Context.
499 S. Diss. 2020 University College London.
Online
Fraaije vergleicht gründlich die Fassungen und Deutungen des Journey Charms, diskutiert insbesondere den Begriff
gyrd (Walking Canes and Protective Girdles: gyrd and sigegyrd) und interpretiert den Text als
Lorica. Loricae sind ursprünglich Brustpanzer. Der Begriff wurde auf frühmittelalterliche Schutzgebete übertragen, die wahrscheinlich durch die irischen
Wandermönch verbreitet wurden. Möglicherweise spiegelt sich darin das
armaturam Dei (Epheser 6,11–18).
Ein ehrenvoller Abschied setzte im Mittelalter Urloup voraus, also die Erlaubnis sich zu entfernen (lat. übersetzt als licentia, permissus, venia). Dies ist eine Freiheit, die zwar von anderen gewährt wird, setzt jedoch eine Freiheit voraus, die man sich nimmt. Diese „möglichkeit, nach belieben zu verfahren“ kann auch missbraucht werden 4) Mittelalterliche Reisesegen zielen daher auf das Erringen von Ehre im Kreise Anderer und nicht auf die Singularität Einzelner.
Im christlichen Mittelalter zielte der Weingartner Reisesegen primär auf den Schutz vor Gefahren und Unglück unterwegs; Waffen und Rüstung werden nur noch allegorisch benannt.
Der Tobiassegen bezieht sich auf die biblische Erzählung über den Abschied des Tobias, dem sein Vater den Segen zum Abschied erteilte (Tobias 5,23) und den der Erzengel Raphael
und ein Hund begleiteten. In diesem Segen werden auch die Gefahren für die Seele einbezogen. Tobias wurde so zum Patron der Reisenden.
Ein anderer Patron der Reisenden, Christophorus, wurde ursprünglich hundeköpfig dargestellt und zeigt den Menschen in der Wildnis als ein Wesen, das selbst ursprünglich wild war (Wilder Mann); die Christophorusplakette soll Reisende schützen.
Alle Reisesegen zeigen eine handlungsorientierte (weltliche) Perspektive, indem sie den Zeitraum zwischen Aufbruch und Heimkehr handfest schützen sollen.
Aus diesen Vorbildern heraus entstand der kanonisierte Pilgersegen mit festem Ritus, wie er zuerst um 780 im Sakramentar von Gellone urkundlich belegt ist. Dabei wurden Dinge übergeben, etwa Pilgerbrief, Pilgertasche, Pilgerstab.
Dieter Eissing
Der Pilgersegen.
In: Andreas Heinz, Heinrich Rennings: Heute segnen. Werkbuch zum Benediktionale. Freiburg-Basel-Wien 1987, S. 308–316, auch zum Sakramentar von Gellone
Petke, Wolfgang
Der rechte Pilger: Pilgersegen und Pilgerbief im späten Mittelalter.
S. 323-360 in: Aufsätze zur Pfarreigeschichte in Mittelalter und Früher Neuzeit. Göttingen 2021: V&R unipress
Der heilige Hieronymus
legte im 4. Jahrhundert Maria
den Beinamen Maris Stella zu, Meeresstern im übertragenen Sinne eine Orientierungshilfe als Stern im Lebensmeer. Der Marienhymnus Ave Maris Stella, den Abt Ambrosius Autpertus
im 8. Jahrhundert verfasste, wurde seither von in christlichen Kreisen als Segen zum Abschied und Aufbruch gesungen, bis in die Gegegnwart insbesondere beim Entsenden von Missionaren. Die Missionsbenediktiner haben sich das Motto Lumen Caecis 'Licht den Blinden' zugelegt, ein Zitat aus Ave Maris Stella.
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Hermann auf der Heide
Die Missionsgesellschaft von Steyl. Ein Bild der ersten 25 Jahre ihres Bestehens
Jubiläumsgabe zum 8. September 1900. Steyl 1900: Verlag der Missionsdruckerei, hier S. 382
Walter Helmes
Kreuz und Schwert im Kampfe gegen Sklaverei und Heidentum
Missions- und Unterhaltungsblatt für das katholische Volk, besonders für die Mitglieder des Afrika-Vereins deutscher Katholiken. Meppen 1894: Kreuz und Schwert. hier S. 114
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Jüdische Vorschriften für unterwegs
Rabbiner Schelomo Ganzfried
Kizzur Schulchan Aruch. [=Ḳitsur Shulḥan ʿarukh]
Deutsche übertragen von Rabbiner Dr. Selig Bamberger in Hamburg. 2 Bände Frankfurt am Main 2016: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg.
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Rabbi Schelomo Ganzfried
(1804-1886) aus Ungarn veröffentlichte 1864 dieses Buch, das bis zu seinem Tod in zwölf Auflagen erschien. Darin enthalten sind auch 12 Paragraphen mit religiösen Vorschriften (Band 2, Kap. 68):
Vorschrift für das Gebet der Reise und andere Dinge, auf die man auf der Reise achten muss.