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Road Movie

zuletzt geändert: — Norbert Lüdtke, Der Trotter 2019/02/08 08:19

Das Road Movie ist im Reigen der drei populären Ausdrucksformen mit Road Novel und Road Music die jüngste; Collins Dictionary kennt den Begriff erst ab 1984, während die New York Times seit 1952 `Road´ Movie mit Anführungsstrichen schreibt, z.B. am 13.05.1952 Bing Crosby planning new `Road´ Movie. In den 1970er Jahren wurde der Begriff von Wim Wenders systematisch und international verwendet. Er ließ am 13.07.1976 die Firma Road Movies ins Handelsregister eintragen, nachdem er seine Road-Movie-Trilogie abgedreht hatte: 1974 Alice in den Städten, 1975 Falsche Bewegung, 1976 Im Laufe der Zeit. 1)

Easy Rider 1969 mit Peter Fonda, Dennis Hopper, Jack Nicholson gilt weithin als Idealtyp des Genre, ebenso die Werke von Wenders. Viele Road Movies leben vom Motiv des motorisierten Unterwegs-Seins. 1954 spiegelt The Wild One mit Marlon Brando den neuen Typ des Protagonisten, in den 1960er Jahren sind es die Hells Angels mit Die wilden Engel von Roger Corman, das Konzert der Rolling Stones in Altamont mit den Hells Angels als Ordnern. Die dabei eingesetzte Road Music wie etwa Born to be wild von Steppenwolf bestimmten das Lebensgefühl einer Generation.

Merkmale des Road Movies

Nicht nur Filmemacher, auch Publikum und Feuilleton waren sich schnell einig, dass es Road Movies gab - aber bis heute gibt es keinen Konsens darüber, wie sich ein Film eindeutig als Road Movie kategorisieren ließe. Nachfolgend werden Road Movies aus der Perspektive von Reisenden betrachtet, ein eher seltener Blickwinkel. Die cineastische Kritik an vielen Road Movies kann aus dieser Perspektive oft nicht geteilt werden. Gerade die Unvollkommenheit - fehlendes Drehbuch, kaum Schnitte, Improvisation, Laienschauspieler, Ziellosigkeit - entsprechen der Reise mehr als ein »All-Inclusive«-Produkt:

»Der wahre Reisende weiß nicht, wohin die Reise geht, 
der wahre Abenteurer weiß nicht, was er erleben wird. 
Seine Reisen führen ihn nicht eher in eine Richtung als in eine andere. 
Seine Neugierde ist nicht auf einen bestimmten Punkt gerichtet.«
Chuang-tzu, ca. 365-286 v. Chr.

Aber das Road Movie zeigt nicht den Urlaub mit dem Touristen, sondern beginnt erst, wenn etwas Unvorhersehbares in den Urlaub einbricht und den Touristen aus seiner Rolle wirft. Dasselbe gilt jedoch auch für andere Reiseformen, denn ein Road Movie ist keine Reisedokumentation sondern zeigt das Leben im Unterwegs-Sein, bei dem sich jemand abstrampelt wie der Frosch in der Sahne. Road Movies zeigen Dystopien, keine Utopien.

Äußerlichkeiten

Dass diese vier Elemente als Öberflächenmerkmale nicht genügen ein Road Movie zu konstituieren, ist offensichtlich. Oder wird ein Film - etwa über einen teilnahmslosen Lkw-Fahrer, der von der Kamera begleitet wird - zum Road Movie, weil Straße und Fahrzeug präsent sind?
Muss nicht vielmehr mindestens ein fünftes Element der Tiefe hinzutreten, das erklären kann, weshalb Road Movies Zuschauer berühren können, die Sehnsucht wecken, Reisende ansprechen und insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche häufiger entstehen?

Der Protagonist und seine gesellschaftliche Rolle

Hier wird davon ausgegangen, dass das Verhältnis zwischen der gesellschaftlichen Rolle der Protagonisten und deren Unterwegs-Sein wesensbestimmend für das Genre ist. Dann lassen sich drei verschiedene Ausgangssituationen erkennen:

1. Exclusion: Verlust der bürgerlichen Rolle

Mancherlei Anstöße oder Geschicke, lebensaltertypische Wandlungen oder gesellschaftliche Veränderungen führen dazu, dass der Protagonist sich verloren fühlt, nicht zugehörig oder ausgeworfen; ein inneres oder äußeres Ereignis zerstört seine gewohnten Bindungen, so dass seine bisherige Rolle in der Familie, Gruppe, Gesellschaft nicht mehr funktioniert. Die Protagonisten werden aus der Bahn geworfen, sehen ihr Leben in Frage gestellt und suchen die Antwort unterwegs, mehr oder weniger unter Druck.

1.X Die Letzte Reise

»Was wirst Du tun, wenn die Uhr fast abgelaufen ist?« Den nahen Tod erwartend stellt sich die große Frage, vor der alles andere klein wird:

2. Sub- oder Randkulturen: Außerhalb unter Seinesgleichen

Der Protagonist dieser Gruppen hat den ersten Schritt bereits hinter sich gebracht. Nun ist er zwar kein „ordentliches“ Mitglied der Mainstream-Gesellschaft mehr, hat jedoch formal nur eine Rolle durch eine andere ersetzt. Auch diese lässt sich in Frage stellen, denn jeder Gewinn des Rollenwechsels geht auch mit Verlust einher. Der alternde Trucker, der entlassene Kriminelle, der Krieger ohne Krieg - wie nimmt die bürgerliche Gesellschaft jemanden wieder auf (The Lucky Ones 2008)? Solche Gruppen unterscheiden sich zwar von der Gesellschaft, sind jedoch durch sie bedingt, abgegrenzt durch einen eigenen Moralkodex, mit gruppenspezifischem Wissen und eigenem Jargon, das den Protagonisten Vorteile gegenüber dem bürgerlichen Leben verschafft:

2.X Fahrendes Volk

Boyer, Jay: Superfluous people. Tramps in early motion pictures.
In: Beyond the stars: Stock characters in American popular film.
Ed. by Paul Loukides and Linda K. Fuller. Bowling Green, Ohio: 
Bowling Green State University Press 1990, pp. 79-89.

Oberhuber, Florian, 2012, Das Ende des Vagabunden.
In: Johanna Rolshofen, Maria Maierhofer (Hg):
Das Figurativ der Vagabondage. Bielefeld 2012.

3. Survival: Aus eigener Kraft überleben

Eine dritte Gruppe von Protagonisten kann nicht aus der Gesellschaft herausfallen, weil es eine solche nicht gibt; hier überwiegt der Einzelgänger. Deren Ausgesetztheit ergibt sich aus der Umgebung:

3.X Isoliert mit Anderen

Eine Sondergruppe mit Elementen der anderen Gruppen erscheint zwar disparat, aber nicht grundverschieden. Menschen, die als Teil einer Gruppe unterwegs sind, geraten in eine Situation, in der sie auf sich alleine gestellt sind. Isoliert von der Gesellschaft, entfällt der Druck durch Konformität und Ordnungsgewalt, es entsteht etwas Neues. Zunächst individuell, weil unter dem Druck jede Persönlichkeit aufbricht; dann in der Gruppe, weil Normen formuliert, akzeptiert und kontrolliert, Sanktionen vereinbart und umgesetzt werden müssen. Triebe, Macht, survival of the fittest - im Road Movie findet sich dies, wenn der Bus im Nirgendwo zusammenbricht; bei der Notlandung eines Flugzeuges; bei Gestrandeten; eingeschneit in einer Hütte usw. - es entstehen »Schicksalsgemeinschaften« wie

Stufen des Road Movie-Charakters

Über die unterschiedlichen Situationen und Protagonisten lassen sich die Road Movies kategorisieren:

Solche der ersten Kategorie (Verlust der Bürgerlichkeit) gehen von einer Alltäglichkeit aus, die jeder kennt. Die Anstöße und Anlässe, die die bürgerliche Rolle bedrohen sind zwar nicht alltäglich, jedoch jederzeit möglich, vorstellbar und damit bedrohlich. Zum Road Movie wird die Handlung durch den Konflikt des Protagonisten, dieses ihm zugefallene Unterwegs-Sein als Ausweg anzunehmen, die Veränderung als einzige Konstante zu wählen.
Die entscheidende Kraft, die diesen Schritt ermöglicht, setzt sich aus push- und pull-Faktoren zusammen. Der äußere push reicht vom leichten Anstoß bis zum gewaltsamen Auswurf und ist sichtbar. Das innere pull dagegen hängt von der Verfassung des Protagonisten ab, von seinen Einstellungen, Wünschen, Hoffnungen, Ängsten, Leidenschaften und kann nur geahnt werden. Die push-Faktoren sind vielfältig und erlauben dem Road Movie unterschiedlichste Rahmenhandlungen. Die Ausgangsspannung steigt, wenn die pull-Fatoren viel geringer sind als die push-Faktoren, damit wird die Ausgeworfenheit deutlich. Road Movies, die den Protagonisten im Unterwegs-Sein zeigen, ohne den Anlass offenzulegen, verzichten auf diesen Spannungsbogen.
Nur selten ist dieser Protagonist unterwegs allein, meist gibt es eine Konstellation zwischen Buddy und Großfamilie.

Protagonisten der zweiten Kategorie kennt jeder, doch sind sie aufgrund ihrer Randständigkeit nicht Teil des Alltags und nicht vertraut, sondern mehr oder weniger fremd. Solche Randgruppen sind toleriert, bleiben auf Distanz und erscheinen näher kommend als bedrohlich. Zum Kodex dieser Gruppen gehört, dass zwar jeder Protagonist alleine fähig ist zu bestehen, dass jedoch die Gruppe unterstützend eingreift, wenn sie sich als solche gefährdet fühlt.
Der Zuschauer kann zunächst Zuschauer bleiben. Berührt wird er erst, wenn seine geheimen Wünsche und Hoffnungen angesprochen werden, wenn die Lust auf Freiheit und Veränderung spürbar wird, die im Alltag nur als kleine Fluchten, im Urlaub oder im Karneval zulässig ist. Die verdrängte Schattenseite wird mächtiger, sucht ein Ventil. Der Ausbruch ist jedoch ohne Risiko nicht zu machen.
Dennoch geht von diesen Gruppen ein verbotener Reiz aus. Dieser ist jedoch zeittypisch geprägt. So schaffte es des Fahrende Volk von Anfang an nicht in das neue Medium des Films. Der Vagabund wurde als Protagonist des Unterwegs-Seins spätestens in den dreißiger Jahren unpopulär, der Cowboy hatte sich in den Vierziger Jahren überlebt, stattdessen gewannen Trucker und zeitweise Rocker an Attraktivität.

Von Protagonisten der dritten Kategorie schließlich hat man gehört, kennt sie aber nicht persönlich. Bergsteiger, Abenteurer, Astronauten stehen für ein Leben, das mit dem eigenen rein gar nichts zu tun hat. Die Distanz ist groß, die Betroffenheit gering, Authentizität ist möglich (Sturz ins Leere), aber für den »Normalo« ebenso entfernt wie die Fiktion eines Mad Max. Hier finden sich die Einzelgänger: alleine und auf sich gestellt. Für sie gilt, was Zarathustra zum Seiltänzer sagte 2)

»du hast aus der Gefahr deinen Beruf gemacht, daran ist nichts zu verachten.
Nun gehst du an deinem Beruf zugrunde:
dafür will ich dich mit meinen Händen begraben.«

Die Kategorie 1 versammelt Road Movies im engsten Sinne. Wie weit (Kat. 2 und 3) und wie tief (1x, 2x, 3x) man das Genre verstehen möchte, kann diskutiert werden.

Innenwelt und Außenwelt des Protagonisten

Sisyphos als Wesenskern

Der Protagonist hat nur zwei Optionen: Er kann sich an die Situation ausliefern und aufgeben und erlebt eine Tragödie als Opfer. Oder er nimmt sein Geschick an und fällt aus seiner Rolle. Dann lässt er zu, dass seine Glaubensvorstellungen, Werte, Beziehungen, Regeln in Frage gestellt werden. Die Muster und Bahnen seiner Innenwelt werden gedehnt und neu gezogen, damit sie der veränderten Außenwelt genügen. Dabei ist er kein Heros wie Herakles, kein Held wie Odysseus, kein Ritter wie Parzival und nicht einmal ein Abenteurer. Während der Abenteurer nach einem erfolgreichen Abschluss seiner Fahrt und der erfolgreichen Rückkehr strebt, ist sich der Protagonist des Road Movie im Unterwegs-//Sein// genug.

Er wird als Sisyphos zum Held des Absurden 3), zum Eroberer des Nutzlosen 4), zum Übermensch als Antwort auf den Tod Gottes 5), dem niemand helfen kann außer ihm selbst, der die Sinnlosigkeit seines Tuns erkennt und dennoch nicht aufgibt. Das ist ein Thema der Postmoderne und von Umbruchzeiten. Der Ritter von der traurigen Gestalt, Cervantes Don Quixote von 1615, wäre heute eine Gestalt des Road Movie.

Ziellosigkeit als Wesenszug

Konstituierend für Road Movies ist die Ziellosigkeit der Protagonisten im Unterschied zu denjenigen anderer Genres: der Abenteurer findet den Gral; Liebende finden einander; der Arm des Gesetzes ergreift im Krimi den Täter. Im Road Movie besteht das wesentliche Ziel darin, unterwegs zu sein. Stehen hier und da Ziele am Beginn des Films, so verblassen und schwinden sie im Laufe der Handlung. Es ist nicht wichtig, etwas zu erreichen, vielmehr ist es wichtig, etwas dafür zu tun. Nachdenklichkeit, Langsamkeit und Stille sind adäquate Kennzeichen dieser Situation. »Through the infinite reaches of spaces the problems of man seem trivial and naive indeed. And man, existing alone, seems himself an episode of little consequence. That’s all.« (Rebels without a cause 1955).
Die einzige Erfüllung, die ein Road Movie zu bieten hat, ist der Tod:

Häufig kann man sich fragen, wer denn der Protagonist des Films ist, denn die zentrale Rolle fällt häufig mehreren zu: Buddies, Familienmitgliedern, Gegenspielern. Da jeder von ihnen für eine Rolle steht, betrifft der Tod nicht unbedingt die Hauptrolle. Da die Rollen jedoch einander bedingen, verändert jeder Tod auch die Rolle der anderen.

Die unendliche Fahrt

Das Merkmal der Ziellosigkeit verbindet sich mit der unabsehbaren Dauer der Reise und dem offenen Ende in der literarisch bekannten Figur der »unendlichen Fahrt« als Metapher für die Lebensreise. Mehr dazu siehe Der ewige Wanderer.

Der Protagonist als Nicht-Reisender

Ein Road Movie enthält sowohl äußerliche als auch wesentliche Merkmale der Reise als Quest, als Suche. Daher werden Reisende durch Road Movies angesprochen; sie kennen Vergleichbares und finden Ähnlichkeiten zu ihren Reise-Erfahrungen. Selbstbestimmt Reisende - nicht Urlauber, sondern Suchende etwa im Sinne von Globetrottern - begeben sich ja freiwillig diese Form des Unterwegs-Seins. Sie fühlen sich darin zuhause, die Situation ist ihnen vertraut, derart zu reisen entspricht ihrer Kompetenz.

Absurderweise können die glaubhaftesten Protagonisten von Road Movies jedoch keine Reisenden sein, da dies dem oben dargestellten Wesen (in Kategorie 1) widerspräche. Die meisten der oben aufgeführten Anstöße werfen Reisende nicht aus der Bahn. Sie können kaum ausgeworfen werden und kommen daher auch nicht in den Konflikt, das Unterwegs-Sein anzunehmen oder nicht. Die Protagonisten einiger Road Movies sind zwar Urlauber, die durch äußere Einwirkungen aus ihrer Urlaubssituation geworfen werden, jedoch ist dieser Urlaub eine gesellschaftlich akzeptierte Reiseform im Unterschied zum »Reisen« der Globetrotter, Abenteurer, Weltenbummler, Vagabunden.

Unterwegs-Sein als »Stretching« der Persönlichkeit

Die sichtbare Fahrt mit der sich ständig verändernden Kulisse (Straße und Landschaft) ist nur ein Schatten der sich verändernden inneren Welt, um die es im Road Movie eigentlich geht. Wie ein Reisender befindet sich der Protagonist in einem »Stretching-Zustand« bei dem mentale Einstellungen und Glaubensvorstellungen erweitert werden müssen. Nichts bleibt, wie es war und nichts ist, wie es scheint. Ideale lösen sich auf, Wirklichkeit wird relativ. Damit dieser Konflikt zwischen Innenwelt und Außenwelt dem Zuschauer sichtbar vermittelt werden kann, werden drei dramaturgische Mittel eingesetzt:

Schichten der Wirklichkeit

Ein Road Movie lässt sich nur über das Wesen des Protagonisten definieren, also über das Nicht-Gesagte und Nicht-Gezeigte. Sein Unterwegs-Sein ist ein Mittel, aus sich heraus eine neue Welt mit neuen Möglichkeiten zu entdecken. Das Rätselhafte mancher Road Movies entspricht dem Zustand des Protagonisten, denn eindeutig ist nur der Aufbruch, wie ihn Franz Kafka beschreibt:

»Wohin reitet der Herr?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich, »nur weg von hier, nur weg von hier.
Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.« 
»Du kennst also dein Ziel«, fragte er. 
»Ja«, antwortete ich, »ich sagte es doch: 
›Weg-von-hier‹ – das ist mein Ziel.« ...  
Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.«

Der Versuch, die Motive zu erfassen und das Ende des Films zu benennen, scheitert oft daran, dass es viele Motive und Enden gibt je nachdem, wen man als Protagonisten betrachtet. Ziellosigkeit und Offenheit führen ja dazu, dass Gut und Böse verschwimmen, so dass der anfangs bürgerliche Protagonist, Mitreisende und Begegnende allesamt einander verändern.

Road Movies und andere Genres

Road Movies und Western

Das Genre des Road Movie lässt sich als zeitgemäße Fortführung des Western betrachten. Der »lonesome Cowboy« verabschiedet sich mit den Worten »Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss«, schwingt sich auf sein Pferd und reitet in den Sonnenuntergang, einem unbekannten Ziel entgegen. Der einsame Wolf, der harte Mann und sein Pferd waren jedoch irgendwann aus der Zeit gefallen. In Stagecoach (1939) von John Ford wäre die Postkutsche bereits eine Andeutung der Bedeutung von Fahrzeugen im aufkommenden Road Movie. 1955 stehen in Rebels without a cause Jim Stark (James Dean) und Buzz Gunderson (Corey Allen) am Abgrund. Gleich werden sie mit ihren Autos darauf zurasen: Jim: »Why do we do this?«, Buzz: »You gotta do something … now, don’t you?«

Road Movies zwischen Dokumentation und Fantasy

»Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, daß er seine Daseinsberechtigung hat, dann muß es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann.« schreibt Robert Musil in Mann ohne Eigenschaften, Kapitel 4. Der Protagonist des Road Movie bricht auf, weil seine Wirklichkeit an Grenzen gelangt ist und er daher neue Möglichkeiten erkunden muss. Da er diese vorher nicht kennen kann, handelt er ziellos und tastet sich voran. Für den Film bedeutet das, mehrere Wirklichkeiten zuzulassen, den Zweifel der Eindeutigkeit vorzuziehen, offene Fragen nicht zu beantworten. Mehrdeutigkeit (engl. »Ambiguity«) ist ein Kennzeichen des Road Movie.

Dokumentationen wollen das Gegenteil, sie erhellen, schließen aus, fokussieren, beantworten Fragen - bilden also einen Pol, den ein Road Movie nicht erreichen sollte. Am anderen Pol steht die Fantasy jenseits des Möglichen und Wirklichen. Auf der Skala dazwischen finden sich Road Movies, Thriller, Krimis, Abenteuer.

Im Unterschied zu Letzteren wird der »McGuffin«, der als Spannungskern für Hitchcock wesentlich und handlungsleitend ist, im Road Movie bedeutungslos. Mit ihm verschwinden auch vorgebliche Ziele und der Sinn des Handelns. Insbesondere europäische Filme geben dieser Ambiguität Raum: sie sind handlungsärmer, langsamer, leiser als amerikanische Road Movies. Der Protagonist des Road Movie will ja nichts erreichen, sein Handeln ist beliebig und richtig, sofern es neue Möglichkeiten öffnet. Der »McGuffin« wird im Road Movie durch das Authentische ersetzt. Daher gehören beispielsweise Laiendarsteller (In This World 2002) zum Road Movie, Avatare nicht. Zweifel dürfen bestehen, jedoch müssen die Möglichkeiten auch erreichbar sein, nicht phantastisch.

In Richtung des phantastischen Pols öffnen sich zwar neue Möglichkeiten, sie werden jedoch zunehmend unwirklicher und unerreichbarer. Eine Science Fiction spielt immerhin noch mit einem künftig Möglichen. In der dystopischen Zukunft existiert die vertraute Gesellschaft nicht mehr, so dass aus der Asche etwas völlig Neues entstehen könnte. In dieser Situation kämpft der ausgeworfene Protagonist - hier meist als Einzelner - nicht nur um sein Überleben, sondern auch um das Überleben seiner Werte:
(Mad Max 1979, The Highlander 1986, Waterworld 1995).

Der Möglichkeitssinn des Protagonisten wird sich jedoch spätestens den Vampiren des Horrorfilms ebenso verweigern wie dem Fantasy-Film. Wer kann sich schon mit dem Riesenfaultier Sid und Manfred dem Mammut in Ice Age identifizieren und wessen Sehnsüchte und Ängste soll dieser Film berühren?

Das Ende des Road Movies

Der Protagonist des Road Movie hat letztendlich drei Möglichkeiten, die wiederum ambivalent sind:

Hinsichtlich der verwandten Genres zeigen sich dadurch Übergänge:

Zwischen Breitenwirkung und Tiefenwirkung

Die eingangs beschriebenen drei Kategorien bedienen ein Risikospektrum. Der Zuschauer wird eher berührt durch »gewöhnliche« Gefahren: Kündigung, Scheidung, Zufall. Dass solche Ereignisse ins Leben eintreten, ist sehr wahrscheinlich, also sollte jeder dafür gewappnet sein. Größere Furcht allerdings wird empfunden vor den Gefahren am anderen Ende des Spektrums: Gewalt und Tod durch Verbrechen; allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, diese am eigenen Leib zu erfahren. Die Faktoren »Könnte-mir-zustoßen« und »Größe der Gefahr« ergeben den Risikofaktor, nennen wir ihn hier Bedrohlichkeit. Da Menschen eine sehr große Furcht vor unbekannten Gefahren haben und ein geringes Gefühl für Eintrittswahrscheinlichkeiten, lässt sich diese Bedrohlichkeit im Übermaß steigern. Von diesem Effekt leben Werbung, Unterhaltung, Politik, Versicherungen und andere.

Grenzen des Konstruktes Road Movie

Ein Genre-Begriff wie Road Movie wird rückblickend konstruiert. Zwischen Filmproduzenten und -konsumenten sowie akademischen und feuilletonistischen Cineasten bildet sich eine Figur, die weder scharf definiert noch scharf abgegrenzt werden kann. Diese Figur ist dem Markt unterworfen, den Zeitläuften und den kulturellen Bedingungen, insbesondere dem Sprachraum:

Verweise

Literatur

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1)
Bei mehreren Filmen arbeitet er in dieser Zeit mit Peter Handke zusammen, der auf dem Feld der Road Novels zuhause ist: Der Himmel über Berlin, Die Angst des Tormannes beim Elfmeter.
2)
Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Vorrede 6
3)
Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos, 1942
4)
Fitzcarraldo von Wim Wenders 1982
5)
Friedrich Nietzsche: Also sprach Zaratusthra, 1883 - 85
6)
Insgesamt wird für die Filmproduktion (Themen und Ästhetik) beobachtet, dass die Hollywwod-Filme ab den Dreißger Jahren stark durch Exilanten beeinflusst wurde, also durch den deutschen Expressionismus und französischen Realismus. Nach dem krieg wiederum, wirkte dieser Einfluss zurück auf Europa, Kanada und Japan.