Raspaud Michel
La mise en spectacle de l'alpinisme.
In: Communications, 67, 1998. Le spectacle du sport. S 165-178. DOI
Der Weg nach oben führt topographisch gesehen in eine Sackgasse, weil es irgendwann immer wieder nach unten geht.
Dass man daraus einen Sport (Bergsteigen) und eine Einstellung (Alpinismus) machen kann, ist ein Thema der Neuzeit.
Neuzeitlich ist auch die Bewertung der Berge über ihre Höhe. Solange man diese nicht kannte, hinterließ vielmehr ihr Aussehen, ihre Form, ihr Einfluss aufs Wetter einen nachhaltigen Eindruck.
Jacek Woźniakowski
Berge statistisch zu erfassen ist schwierig, nicht nur weil es kartographische Messungenauigkeiten, Auflösungsgrenzen und Bezugssysteme (Meereshöhe) gibt.
Berge einer Berggruppe gelten nur dann als eigenständig, wenn sie deutlich von den nächsten Bergen abgegrenzt sind. Darüber entscheidet die (willkürlich) gesetzte Schartenhöhe zwischen zwei Gipfeln (z.B. 500 Meter). Am selben Berg kann es zudem Nebengipfel geben, auch hier muss eine Schartenhöhe gesetzt werden (z.B. 40 Meter). Mit diesen Setzungen ergibt die kartographische Auswertung weltweit (siehe Hartmuts Bergseite mit detaillierter Beschreibung des Verfahrens):
Bergberufe dienten den Menschen seit jeher zum Lebensunterhalt, weder dem Ruhm noch dem Vergnügen:
Oliver Benvenuti
Für Reisende von außerhalb waren die Berge in erster Linie ein gefährliches Hindernis, das überquert werden musste. Das Wissen über die Berge, die Wege und Pässe dort, die Orientierung und die Gefahren, passende Ausrüstung und Kleidung gehörte für die dort lebenden Menschen (lat. Alpium incolae) zum Alltag und machte sie für Reisende zum Bergführer (z.B. Marron) und Träger (z.B. Sherpa).
Auf der tibetischen Hochebene leben Menschen auf Höhen um 5.000 m, vereinzelt erreichen sie mehr als 6.000 m und in dieser Höhe kommen auch Yaks noch zurecht. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die Tibeter vor der Ankunft der Europäer gezielt höhere Gipfel bestiegen hätten.
Sale, Richard
; Cleare, John
In den südamerikanischen Anden sind dagegen eine ganze Reihe Gipfel bereits in präkolumbianischer Zeit erreicht worden → List of Andean peaks with known pre-Columbian ascents.
Reinhard, Johan
; Ceruti, María Constanza
In diesen beiden Weltregionen sind die Menschen genetisch an die Höhe angepasst. Für die meisten anderen Menschen fangen Höhenrekorde auf tieferen Stockwerken an.
Als Geburtsstunde des Alpinismus gilt die Erstbesteigung des 2.087 Meter hohen Mont Aiguille in den französischen Westalpen 1492. Diese wurde gründlich geplant und erforderte besondere Fähigkeiten (Felskletterei) und technische Mittel (Leitern, Seile). Die sechstägige Expedition bedurfte entsprechender Vorbereitung und Logistik (Nahrung, Kleidung, Übernachtung, Aufgabenverteilung …).
Angeordnet wurde sie von König Karl VIII.,
geführt wurde sie von dessen Kammerherrn Antoine de Ville
, begleitet von einem Notar, zwei Priestern und mehr als einem halben Dutzend weiterer Begleiter. Es wurden Gipfelkreuze errichtet und es wurde eine Hütte gebaut. Die Leistung der Gruppe wurde nach deren Rückkehr gefeiert 1).
Alle wesentlichen Elemente heutiger alpiner Gipfelbegehungen sind darin enthalten 2). Ruhm war ein mögliches Motiv, denn der extrem auffällige Berg galt 1339 als »roche merveilleuse« 3) und in der Mitte des 15. Jahrhunderts machte Mathieu Thomassin
ihn zum »Mont Inaccessible« 4). Dass zwei Priester dabei waren, schützte vor dem Vorwurf der Eitelkeit, des Hochmuts oder gar der Ketzerei und der Notar sicherte das Vorhaben urkundlich.
Einige Eckdaten zu Erstbesteigungen sind:
Patschg
aus dem Gasteiner Tal wagte sich daran.Peter Carl Thurwieser
wanderte am 16. September 1822 von Wildbad Gastein etwa drei Kilometer nach Böckstein und suchte einen Führer auf den Ankogel, aber:Patschg
– sein Haus ist vom Wildbad gegen Böckstein das erste am Weg – vor etwa 60 Jahren von seiner im hintersten Theile des Anlaufthales gelegenen Alpe [Obere Radeckalm 1701 m] aus, denselben bestiegen und von der großen Mühe und Gefahr, die er dabei überstanden, erzählt habe.« Thurwieser erstieg dann erneut den Ankogel.D. J.
Harald Schueller
Nachdem 1786 der Mont Blanc (4808 m) bestiegen wurde, konnten höhere Ziele nur außerhalb Europas gefunden werden, wobei die Bevölkerung des Himalaya und der Anden seit je Höhen von rund 5.–6.000 m besiedelte, die es in Europa nicht gab.
Diego de Ordás
mit zwei anderen Konquistadoren den mexikanischen Vulkan Popocatépetl (5.462 m) bis zum Kraterrand, während die ihn zunächst begleitenden Indios bei Tempeln an den Hängen des Berges zurückblieben 9).Alexander von Humboldt
mit Aimé Bonpland
und Carlos Montúfar
am Chimborazo eine Höhe von etwa 5.600 m 10).Darüber hinaus sind Höhenrekorde nur noch mit technischen Hilfsmitteln möglich.
Etwa 1284 strandete der Dominikanermönch Burchardus de Monte Sion
auf der Rückkehr aus dem Heiligen Land auf der Insel Vulcano bei Sizilien. Mehr kriechend als wandernd habe er deren Gipfel erreicht; genaue Beobachtungen stützen den Wahrheitsgehalt, zumal er zuvor das heilige Land akribisch geographisch erfasst hat.
12).
Der Mont Ventoux hat keine markante Form wie der Mont Aiguille aber er ist »der Berg, der von Weitem zu sehen ist« 13), stellt also ebenso eine Singularität in der Landschaft dar und dient damit als Merkmal zur Orientierung. 1336 wandert der italienische Dichter und Chronist Francesco Petrarca
(1304–1374) mit seinem Bruder und zwei Dienern auf den Mont Ventoux (1909 m) in der Provence und schreibt darüber (angeblich) am 26. April 1336 in einem Brief an Dionysius von Borgo San Sepolcro
14). Diese Wanderung gilt heute als anstrengend, aber einfach, beispielsweise in fünf Stunden über 14 km mit rund 1.200 Metern Aufstieg und Abstieg, während Petrarca aus Maloncenes kommend in einer Hirtenhütte vor Sonnenaufgang aufbrach durch die weitgehend ungebahnte Wildnis und nachts bei Mondschein wieder in der Hütte eintraf.
Seit 1860 Jacob Burckhardt
in seiner Kultur der Renaissance in Italien pathetisch über dieses Ereignis schwelgte, ließ die Begeisterung darüber nicht nach. Petrarca wurde zum »frühesten modernen Menschen« 15). Tatsächlich hat Petrarca keinen authentischen Tagesbericht geschrieben, sondern 17 Jahre später den Brief an einen längst verstorbenen Beichtvater als literarische Bereicherung seiner Autobiographie verfasst. Petrarca selbst ordnet diesen Brief ein in eine Reihe von Bekehrungsgeschichten gemeinsam mit Antonius
und Augustinus
. Ob er den Berg in der Außenwelt tatsächlich bestiegen hat oder ob er symbolisch in seiner Innenwelt für sein dichterisches Werk steht, sei dahingestellt. Dann stünde am Ende aber wieder der Ruhm als Motiv 16).
Als Protagonist steht Petrarca jedenfalls seit 1860 stellvertretend für eine moderne Weltneugier, für Augenlust, für Naturgenuss und Hinwendung zur Sinnlichkeit - alles, was Augustinus als sündhaft ablehnte 17).
Allerdings war für Petrarca das Reisen ein frei gewähltes Merkmal seiner Persönlichkeit 18). Im Kern des allegorischen Briefes findet sich jedenfalls Zutreffendes: Petrarca weist auf den sehr starken Wind hin; sieht auf die Wolken hinab; sieht das Rhonetal, die verschneiten Alpen und das Mittelmeer in der Ferne, die Pyrenäen jedoch nicht und wandert im Mondschein zurück, denn am 26. April 1336 war Vollmond 19).
Petrarca
gibt an, durch die Lektüre des Livius
20) zu seiner Bergbesteigung angeregt worden zu sein, der davon berichtet, dass König Philipp von Makedonien
181 BC einen Berg in Thessalien bestiegen habe (verticem Haemi montis ascendendi), weil er die Donau und die Alpen habe sehen wollen 21). Dieses Verlangen (lat. cupido) lässt sich naheliegend deuten als Wunsch, den Schauplatz des bevorstehenden Krieges gegen die Römer von oben zu sehen mit dem Ziel, Kontrolle auszuüben und Macht zu sichern.
Schoch, Rainer
Solche militärstrategischen Perspektiven dürfte auch Hannibal
verfolgt haben, der für seinen Zug über die Alpen 218 BC ja auch einer vorherigen Routenplanung bedurfte. Seine Armee überquerte in 16 Tagen die Alpen wahrscheinlich über den Col de la Traversette (2947 m) 22) und gelangte nach Aosta. Auf dem Pass machte Hannibal seinen Leuten mit der erhabenen Perspektive Mut, indem er sie auf die Po-Ebene hinabblicken ließ 23). Alle 37 Kriegselefanten überlebten, doch unter den 50.000 Soldaten und 9000 Reitern gab es erhebliche Verluste.
Vergleichbar ist die Geschichte des Paulus Diaconus
(720–799) über den Langobardenkönig Alboin
(vor 526–572/3) 24). Bei dessen Einzug 569 n. Chr. nach Italien habe dieser den Monte Re (Königsberg, 1.642 m, heute Matajur, früher Monte Maggiore ) in Tarvis bestiegen, den höchsten Gipfel der Julischen Alpen, der als schöner Aussichtsberg gilt und einfach zu erwandern ist und seit jeher auch als Grenzpunkt dient, auch weil er aus der Ebene weithin Orientierung bietet.
Der besitzergreifende Blick von oben scheint jedenfalls ein Topos zu sein, den die Geschichtsschreiber gerne verwendeten. Möglicherweise gehört auch die Besteigung des Ätna durch Kaiser Hadrian
(76–138) hierher, den eine vierjährige Reise durch das Römische Reich auf dem Rückweg nach Rom im Sommer 125 nach Christus über Sizilien führte, wo er den Ätna bestiegen haben soll 25)
De Jong, I.
Ein Reisebericht in Briefform 26) beschreibt die vierjährige Reise der Egeria
27), die die Bibel als Reiseführer nutzend von 381 bis 384 durch die Länder zwischen Euphrat und Nil reiste und dabei unter anderem vom 16. bis 19. Dezember 383 28) den Berg Sinai bestieg, übernachtend in Klöstern und castras, unterwegs mit Mönchen und Militär, mit einheimischen Beduinen (Faraner, Pharaniten) als Führer, die sich an Zeichen (Steinmann?) in der Wüste abseits aller Straßen orientierten.
Im ersten Kapitel ihres Berichtes beschreibt sie ihre Zeit auf der Sinai-Halbinsel 29) und insbesondere den steilen, mühsamen, ganz geraden Aufstieg vom Kloster aus und den Ausblick vom Berg Sinai 30) über ein Meer aus Bergen bis zum Roten Meer.
Heute erreicht man den Gipfel des Dschebel Musa in drei Stunden vom Katharinenkloster in steilem, geraden Anstieg über die 3750 »Stufen der Qualen« (Siket Sayidna Musa). Das Katharinenkloster am Fuße des Dschebel Musa (Mosesberg, 2.285 m), der zweithöchsten Erhebung der Sinaihalbinsel, wurde zwischen 548 und 565 gegründet.
Der höchste Berg der Halbinsel mit einer Sicht auf das Rote Meer und den Golf von Eilat mit seinen Inseln ist allerdings der Dschebel Katrina (Katharinenberg, 2.637 m), den man vom Katharinenkloster in 5–6 Stunden auf einer Zick-zack-Route ersteigen kann. Es ist nicht bekannt, welcher der beiden Berge mit dem biblischen Berg identisch ist, doch wird dieser seit dem 4. Jahrhundert mit dem Dschebel Musa gleichgesetzt, also als Gottesberg Horeb angesehen, auf dem Moses
die Zehn Gebote Gottes empfangen hat 31).
Die Evangelisten nutzten denselben Blick im Neuen Testament allerdings dazu, die Versuchung durch den Teufel zu beschreiben: »8 Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht 9 und sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest« 32). Und auch die Kreuze auf dem Hügel Golgatha mahnten an Strafe und Tod.
Während in der Antike die Gipfel von Göttern oder Verstorbenen bevölkert waren, wurden sie im christlichen Glauben zu Orten, wo die Hexen mit dem Teufel feierten (Blocksberg). Christliche Gipfelheiligtümer sind vielleicht auch daher die Ausnahme im Unterschied zu anderen Religionen. Die ältesten Gipfelheiligtümer (engl. peak sanctuaries) Europas finden sich auf Kreta zur Zeit der Minoer im 3. Jahrtausend BC mit vermutlich orientalischem Ursprung 33) und ab dem 2. Jahrtausend BC in Griechenland 34).
Gipfel zu besteigen konnte also leicht als Teufelswerk ausgelegt werden und bedurften besonderer Legitimation. Bonifacio Rotario
bestieg als Erster 35) am 1. September 1358 den Rocciamelone (3.538 m), weil er in türkischer Gefangenschaft geschworen hatte dass er der Madonna ein Triptychon auf den ersten Gipfel bringen würde, den er sähe, sollte ihm die heile Rückkehr gelingen. Danach und bis heute wallfahrten Pilger an jedem 1. September auf diesen höchstgelegenen Wallfahrtsort der Alpen. Der pyramidenförmige Rocciamelone galt lange als der höchste Berg der Alpen, auch weil er die Stadt Susa im Vorland um rund 3.000 Meter überragt. Er kann zwar wandernd erstiegen werden, führt jedoch über einen langen sehr ausgesetzten Grat und erfordert Trittsicherheit und Schwindelfreiheit.
Arnold Niederer
Auf dem Gipfel ein Zeichen zu hinterlassen - etwa einen Steinmann - liegt wohl in der Natur des Menschen. Auf dem Mont Aiguille wurden bei der Erstbesteigung 1492 drei Kreuze an den Ecken des Gipfelplateaus so aufgestellt, dass sie von unten zu sehen waren.
Das systematische Aufstellen von Gipfelkreuzen (engl. summit cross, frz. Croix sommitale) begann aber erst später, beispielsweise in Österreich am 25. August 1799 auf dem Gipfel des Kleinglockner. Es wurde in dieser Epoche zum beliebten romantischen Motiv etwa auf den Bildern von Caspar David Friedrich
(Das Kreuz im Gebirge 1808). ebenso wie der auf dem Gipfel Stehende (ders.: Der Wanderer über dem Nebelmeer um 1817). Die Motive, auf dem Gipfel etwas aufzurichten wurzeln zunächst in einer Selbstvergewisserung (Ich war hier), werden dann zum Beweis gegenüber anderen (Ruhm), sollen die Natur besänftigen und Dämonen vertreiben, nehmen den Gipfel in Besitz und entzaubern ihn.
Mathias Carl Theodor Luggauer
Raspaud Michel
Serge Briffaud
Kuhl, Heinrich
Х.M. Думанов
, Kh. M. Dumanov
Willy Blaser
, Glyn Hughes
Ph. J. von Rehhfues
(Hg.)Wagner Henry R.
Gebhard Bendler
Brescius, Moritz von
, Friederike Kaiser
, Stephanie Kleidt
: Über den Himalaya: die Expedition der Brüder Schlagintweit
nach Indien und Zentralasien 1854 bis 1858.Burchardus de Monte Sion
Mehr, Christian
Ekkehart Rotter
Paul Peyre
Francesco Petrarca
Ruth Groh
, Dieter Groh
Mertens, Dieter
\\ Mont Ventoux, Mons Alvernae, Kapitol und Parnass. Zur Interpretation von Petrarcas Brief Fam. IV, 1‚ De curis propriis.Philipp II.
341 BC als Philippopolis neu gegründet wurde. - Manche finden diesen Berg auch im Musala (2.925 m), dem höchsten Berg des benachbarten Rila-Gebirgszuges.Mahaney, W. C.
et al.Polybius
Buch III, 54.1Aetheria
, Etheria
aus Nordspanien oder AquitanienMatthäus
, Kap. 4.8-9 und nach Lukas
Kap. 4.5-6Daniel Tobias Nieß
Vance Watrous
Belis, Alexis Marie