Inhaltsverzeichnis
Problemlösung
Es isch, wie es isch, und jetzt isch over. Wolfgang Schäuble im November 2020 zum Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den USA
Im heimischen Alltag sind die größten Alltagsprobleme auf der Straße zu finden, nämlich:
- die anderen Autofahrer
- das Beifahrerlein (gendergerecht)
- die Spritpreise
- fehlende Parkplätze
Fernmobilreisende können da nur schmunzeln, denn sie müssen ganz andere Situationen bewältigen.
Grundlegende Fragen
Wer ist schuld?
Das lässt sich mit dem Hinweis auf die »Tücke des Objekts« schnell beantworten; alle anderen Antworten sind entweder nicht gut für die zwischenmenschlichen Beziehungen oder führen zu *Murphy's Gesetz, dass nämlich alles schiefgeht, weil mal wieder jemand rumgefummelt hat, ohne die Bedienungsanleitung zu befolgen.
Warum ausgerechnet ich?
Diese Frage sollte man überspringen oder die Psychopathologie des Alltagslebens
von Sigmund Freud
lesen. Zeit genug hat man ja.
Ist das Problem gutartig oder bösartig?
Diese Unterscheidung geht auf die Planungstheorie von Horst Rittel
zurück:
- Gutartige Probleme lassen sich analysieren. Für sie lassen sich Lösungswege definieren, die zu eindeutigen Zielen führen, Einzelschritte sind klar richtig oder falsch. Gutartige Probleme lassen sich mit Nachdenken lösen und vor allem Allein. Klare Zielvorgaben und Prioritäten lassen sich sachlich umsetzen und nachvollziehen.
- Bösartige Probleme widersetzen sich dem allen. Ziele sind Interessen unterworfen, die selbst wieder fluid sind. Es gibt unterschiedliche Lösungswege, Möglichkeiten öffnen und schließen sich während des Tuns. Schritte, die in einer Variante richtig waren, sind nun falsch. Viele Menschen sind beteiligt mit unterschiedlichem Sachstand und ohne einheitliches Verständnis für Verfahrensabläufe. Der Diskurs über die Sache gewinnt eine Eigendynamik, die häufig zu *Nimbyismus führt.
Dies entspricht dem Grundprinzip wu-wei des Daoismus: Nichts zu tun, was sich gegen die Natur richtet, denn alles natürliche Tun ist leicht.
Wie kommen wir aus dem Schlamassel wieder raus?
Diese Frage kann je nach Weltanschauung unterschiedlich angegangen werden. Wie? Das zeigen die folgenden Ausführungen:
Grundlegende Verhaltensweisen
Der Problemlöseansatz von Europäern besteht üblicherweise darin, die tiefste Ursache zu ergründen und die weitestgehende Lösung anzustreben, und das möglichst schnell und gründlich. Reisende jedoch haben den Vorteil zu wissen, dass es auch anders geht. Probleme vermeidet oft, wer sich antizyklisch verhält. Anschaulich formuliert: Am Buffet zuerst zum Dessert und zuletzt zur Suppe. Das spart Zeit und Nerven.
Böhlke, Effi
Reisen – eine nützliche Übung.
Ein Versuch über die Bildung von Denkstilen im Kontext von Reiseerfahrungen.
in: Archiv für Kulturgeschichte 79 (1997) 51-82.
1. Wait and See (»stay put«)
Nichts machen und warten, bis das Problem sich erledigt. Das funktioniert, wenn ein Problem nicht strukturell, sondern durch sich wandelnde Umstände bedingt ist.
Interkulturell betrachtet kann die Verhaltensstrategie variieren als:
- asiatischer Ansatz:
lächeln und warten - südamerikanischer Ansatz:
Im Schatten warten, wer vorbeikommen wird und mein Problem zu seinem macht. - spiritueller Ansatz:
Das Da-sein bestimmt das So-sein. - psychohygienischer Ansatz:
Ist das überhaupt mein Problem oder ein POOP (problem of other people), deutsch: PAL Problem anderer Leute.
»Never change a running system«?
… wird gerne als Begründung zitiert, nicht einzugreifen. Das sagt dann aber mehr über den aus, der es zitiert. Als Handlungsanweisung hat es jedenfalls keinerlei sachliche Basis:
- Im Englischen ist dieser Satz ungebräuchlich bis unbekannt.
- Im Deutschen entstand er als Anglizismus, vermutlich angelehnt an die »Trainerweisheit« never change a winning team von
Sir Alfred Ernest Ramsey
, einem englischen Trainer. - Sinnvoll genutzt wird er von Systeminformatikern, die ein Systemupdate nicht im laufenden Betrieb, sondern in einem definierten zeitlichen Wartungsfenster durchführen.
- Technik einfach laufen zu lassen zeugt von einem unverstandenen System und zeitigt systemantische Folgen.
2. Serendipity oder: Planung ersetzt Zufall durch Irrtum
Das Phänomen des »glücklichen Zufalls« (Serendipity) kann Ergebnisse zeitigen, wenn man sich nicht analytisch und zielgerichtet mit dem beschäftigt, was man für das Problem hält.
Der Narr redet, der Kluge schweigt, der Weise geht in den Garten.
Ein vermeintlich streng analytisches Vorgehen kann in die Irre führen, wenn es auf einer Annahme beruht, die sich später als falsch erweist.
Jedoch kann sich die Lösung anbieten, wenn man zwar in der falschen Richtung sucht, jedoch offen ist für das Unerwartete.
In diese Richtung führt der etwas flapsige und verkürzende Spruch »Planung ersetzt Zufall durch Irrtum« 2) oder ästhetisch wertvoller ein Vers von James Baldwin
Imagination creates the situation and, then, the situation creates imagination. It may, of course, be the other way around. Columbus was discovered by what he found.
Interkulturell findet sich diese Verhaltensstrategie als:
- chinesischer Ansatz: Chàbuduō
Wird das Ziel nicht erreicht, muss der Plan geändert werden. - afrikanischer Ansatz:
Fang' mit dem Einfachen an, schau nicht aufs Ziel.
3. Money makes the world go round
Geld findet sicher einen Weg. Fraglich ist nur, ob das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt:
- US-amerikanischer Ansatz:
In die Luft ballern, drauflos rüpeln, mit Dollars winken
Obama
überTrump
(09.05.2020): »what's in it for me« und «to heck with everybody else«
4. Analytisches Suchen: Problem - Ursache - Lösung PUL
- Was ist das Problem?
- Welches sind die Ursachen: (a) die offensichtliche und (b) die letzte in der Kette?
- Welche Lösungen sind (a) wünschbar (b) denkbar (c ) machbar?
Annahmen sind haltlos, Spekulationen gut für Überschriften und Phantasien gehören ins Tagebuch. Sie können ein Fünkchen Wahrheit enthalten, sind aber keine Ursachenforschung.
Präzise Theoriebildung orientiert sich dagegen seit jeher an Ockhams Rasiermesser. Nach diesem »Sparsamkeitsprinzip« sucht man die Theorie, die möglichst einfach einen Sachverhalt erklärt und deren erklärende Elemente logisch zusammenhängen. Diese Methode hat nachweislich die höchste Effizienz.
5. Effektive Lösungsansätze
Jenseits perfektionistischer Ansprüche und theoretischer Planungen bieten sich »Quickies« an: schnelle, einfache, brauchbare Notlösungen (engl. lash up, hook up), als Leitfaden eignen sich mehrere Richtungen:
- Quick and Dirty
sucht den kürzesten Weg oder die schnellste Lösung ungeachtet von Qualität, Aussehen oder Folgen. Das funktioniert als *Quick-Fix oder *Workaround, bis eine „saubere Lösung“ (engl. *sanitary möglich ist, kann aber auch als Flickschusterei oder Husch-Pfusch-Lösung (englisch: kludge) Bestand haben. *Murks dagegen taugt nicht einmal als Notlösung. - KISS Keep it simple and stupid
Eine gute einfache Lösung hat Vorrang gegenüber einer besseren, jedoch komplexeren Lösung, weil zunehmende Komplexität den Folgeaufwand erhöht und zusätzliche Fehlerquellen mit sich bringt. - Pareto-Prinzip
sucht den effektivsten Weg zu einer 80 %-Prozent-Lösung mit 20 % des Gesamtaufwandes. Die übrigen 20 % müssten mit 80 % zusätzlichem Arbeitsaufwand erkauft werden - also verzichtet man darauf.
6. Aktionismus
Sofort zu reagieren und schnell zu handeln kann manchmal sinnvoll sein, wenn etwa plötzlich Luft aus dem Reifen entweicht. Aber das setzt immerhin Erfahrung mit dem Problem voraus, die Voraussetzungen sind:
- Man muss das Problem schnell erkennen und identifizieren.
- Man muss wissen, dass durch Abwarten das Problem größer wird.
- Man muss geübt darin sein, es schnell anzugehen und
- die nötigen Werkzeuge griffbereit haben.
Als grundsätzlicher Lösungsansatz und vor allem bei unklaren und nicht überschaubaren Lagen taugt Aktionismus allerdings nicht.
In der Psychologie ist Aktionismus als »Handlungsneigung« (action bias) und damit als eine typisch menschliche Verhaltensweise bekannt. Vor allem in einer Gruppe wirkt der Handlungsdruck, denn der hilflose Ruf »Nun to doch was!« setzt voraus, dass jedes Tun besser ist als Nichts-Tun. Stimmt zwar nicht, offenbart aber die Rollen in der Gruppe:
- Der Aktionist ruft am lautesten, hat zwar keine Ahnung, aber immerhin schon was gemacht, nämlich möglichst laut gerufen und ist damit fein raus. (»Lerne jammern ohne zu leiden.«)
- Der Held, der sich angesprochen fühlt und loslegt, hat zwar auch keine Ahnung, aber den größten Pinsel.
- Der Umstandskrämer bewirkt das Gegenteil, weil sich immer noch etwas zu bedenken findet.
- Der Nachdenkliche leitet die prozessorientierte Diskussion oder regt ein »blue sky thinking« an - jeder Beitrag ist bedenkenswert. Das löst zwar kein Problem, aber es tut gut darüber gesprochen zu haben.
- Der Anarchist kommentiert das mit »Ach, was?« (
Loriot
-Typus) oder »Recht so!« (John Cleese
-Typus). - Der Zauderkünstler handelt politisch, wartet erst mal ab und übernimmt erst dann die Führung, wenn sich die anderen blamiert haben.
- Der Experte weiß zwar, wie's geht, wartet jedoch ab, bis er gefragt wird und die gruppendynamische Luft raus ist.
Fazit: Sicheres und schnelles Handeln setzt Erfahrung voraus. Hat man die nicht, führt Abwarten meist zu besseren Lösungen. In der Technik wie in der Medizin kann der Schaden größer werden, wenn man das Falsche tut. Jeder Handwerker prüft erst den Sachverhalt, definiert das Problem und ermittelt dessen Ursache; jeder Arzt folgt der Maxime: Keine Therapie ohne Diagnose. Nur den *Pfuscher ficht das nicht an; er produziert *Murks.
Voraussicht und Kontrolle
„Gib mir die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, [Mut] Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann, [Gelassenheit] und die Weisheit, zwischen beiden zu unterscheiden.“ [Einsicht] Reinhold Niebuhrs (1892 - 1972) »Gelassenheitsgebet«
Probleme haben sachlich begründete Ursachen, führen aber ungeachtet dessen zu Stress - bei den einen mehr, bei anderen weniger. Damit der Stress seinerseits nicht weitere Probleme verursacht, sollte er minimiert werden. Dazu muss die Situation überschaubar werden, möglichst vorhersagbar, und sie muss kontrollierbar sein. Das ruft nach Ruhe und Langsamkeit. Zwei allgemeine Regeln dann weiter:
- »Es gibt keine Alternative?« Abgelehnt.
- Angst ist ein schlechter Ratgeber.
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siehe auch
* Buschmechanik
* Adages
Sir Karl Popper
Alles Leben ist Problemlösen.
Über Erkenntnis, Geschichte und Politik
München Piper 1994
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Albert Einstein
zugeschrieben, jedoch erst seit den 1980er Jahren nachweisbar.