Inhaltsverzeichnis
Vorwort zu 1802 Zimmermann: Taschenbuch der Reisen
- 1802−1819
Eberhard August Wilhelm von Zimmermann
1743−1815
Taschenbuch der Reisen, oder unterhaltende Darstellung der Entdeckungen des 18. Jahrhunderts
in Rücksicht der Länder-, Menschen- u. Producten-Kunde ; für jede Classe von Lesern.
18 Bändchen mit Kupfer u. Karten
Leipzig 1802−1819: Fleischer. 1.1802–11.1812.2 Online
→ Literaturliste Reisesammlung
Einleitung
Ueber den Vorzug der neueren Reisemethoden vor denen der Alten.
Der Roman und die Reisebeschreibung ringen jetzt auf dem großen Schauplatze der lesenden Welt mit einander um den Preis. Jeder hat ein kaum zählbares Publikum auf seiner Seite.
Bei dem Roman führt die freieste Phantasie den Pinsel. Mit den blendendsten Farben entwirft sie bald reizende, üppige Bilder, bald schreckliche, schaudererregende Scenen. Die wirkliche Natur genügt ihr nicht. Zauber und Feerei stehen ihr zu Gebote. Allein selbst die dadurch hervorgehenden Gemählde, so sehr sie auch die Aufmerksamkeit fesseln, den Geist blenden und mit sich fortreisen, verwischt dennoch oftmals unwillkührlich der Gedanke: alles sey nur ein Scheingebilde, ein Morgentraum. Prunkloser und bescheidener tritt die Reisebeschreibung einher; aber ihr Gewand ist ― Wahrheit.
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Wird gleich ihr Gesichtskreis auf die Wirklichkeit eingeschränkt, so umfast er dennoch die gesamte Natur und das ganze Spiel von Abwechselung, welches der Geist des Menschen daraus hervorgehen ließ. Was für ein erstaunliches Feld! Ein unerschöpflicher Reichthum von Gegenständen und Auftritten.
Hier führt sie die Caravane durch unermesliche Sandwüsten, dort den Weltumsegler durch das gefahrvolleste Corallenrief. Nach kaum glaublichen Gefahren landet dieser am unbekannten Gestade, findet neue Menschenracen, neue Thiere, neue Erdprodukte. Der Bau des instinktvollen Schneidervogels, die colossalischen Monumente des microscopischen Termes, die Scheinvernunft des Elephanten, die Familieneinrichtungen des Biebers, die Mutterfreuden der Seeotter, die sultanische Polygamie des Seelöwen erregen vielartige Bewunderung.
Bald verweilt man mit Wohlbehagen bei der häuslichen Glückseligkeit auf den Pelew-Inseln, oder bei der Mäßigkeit und Treue des Negers; bald bewundert man die Reichthümer des Aurengzebs oder des Opokku. Die Gefühle werden niedergedrückt bei der Erzählung von dem Todtenopfer des Abomen, von dem Skalpiren der unglücklichen Gefangenen, oder von der Antropophagie der Anziker. Aber in der gemäßigten Zone richten sie sich wiederum auf. Denn hier sieht man wie der Geist des Menschen alles zur Sicherheit und Bequemlichkeit der Societät
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aufbietet; wie er die Erde umbildet, todte Felder in reiche Fluren verwandelt, große Länder dem Wasser abgewinnt; die Elemente einzwängt; die entlegensten Nationen mit einander verbindet; die Produkte der neuen Welt in die alte verpflanzt; ja das Klima selbst verändert. Freilich sieht man gerade auch hier, wie pausenweise eine handvoll Bösewichter, durch den furchtbarsten Mißbrauch der menschlichen Talente, alles umzustürzen wagt, was die Anstrengung mehrerer Jahrtausende zur Ruhe und zum Wohl der Menschheit mühsam hervorgearbeitet hatte. Indes kann die Vernunft nicht daurend fort unterliegen; und wenn gleich der Menschenkenner von hellem Geiste und edlen Gefühlen, wenig geachtet, fast nirgends gehört, niemals erwarten kann, das die reine Vernunft der Hauptführer des Menschengeschlechts werde, so mus er doch wünschen, ja er darf leise hoffen, das das göttliche Licht der Kultur endlich durchbricht; die Greuelwolken pausenweise zerstreuet; und die trauernde Erde eine zeitlang erquickt. Schimmert es doch bereits über jenes ungeheuere Reich vom Baltischen Meere hin zu den Kurilischen Inseln, und von Archangel bis nach Astrachan. Schon werden der Neger und der Caraibe durch die erhabene Unermüdlichkeit einer einfachen Sekte zur Menschlichkeit geführt; und ein kaum bekannt gewordenes, menschenarmes Continent verspricht bereits hohen Anbau und schaft daneben tausende ruchloser Missethäter in brauchbare Staatsbürger um.
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Diese und noch weit mannigfaltigere Ausbeute bietet uns die Reisebeschreibung dar. Dennoch gewährt sie einen noch höheren, zu wenig geschätzten Genus: sie giebt uns einen Maasstab in die Hand, mit welchem wir die mähliche Progression der tieferen Kräfte des menschlichen Verstandes, — das Wachsthum der höheren Wissenschaften, abzumessen im Stande sind.
Durch nichts fällt dies nämlich so deutlich in die Augen, als durch die heutige imponirende Gestalt der Erd- und Himmelskunde. Bei dem Vergleiche der letzten Weltcharte des Arrowsmith
mit den ältern eines Deslisle
u. a., zeigt sich gleichsam eine neue Erde; und bei dem Zusammenstellen der Himmel unsers Herschels
mit dem Zustande von Flamsteads
Sternkunde, glaubt man kaum ein und dasselbe Universum vorzufinden.
Dies alles gehört aber vorzugsweise unserm achtzehnten Jahrhunderte. Darin rückte freilich jede Art der Kenntnisse sehr beträchtlich vorwärts, allein keine der übrigen eilte mit solchen Riesenschritten, als die Beobachtungs- und Erfahrungs-Wissenschaften. Durch sie heißt mit Recht diese Periode das große Jahrhundert der Entdeckungen, und es verdient daher, das man ihm bei seinem Abschiede, durch einfaches Aufzählen seiner Thaten ein ehrenvolles, allgemein verständliches Monument zu errichten suche.
Hleran steht uns zur Inschrift für die geographischen Wissenschaften nur eine einzige Seite offen. Habe diese
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aber auch eine noch so große Fläche, sie reicht, selbst mit dem schärfsten Grabstichel aufs engste beschrieben, stets nur kärglich hin. Umfassen ja die Fortschritte der Erdkunde zugleich den ganzen Gewinn unseres Wissens, in Rücksicht der Meteore der Produkte der Erde und des Wassers, der Geschichte des Menschen und des Erdbaus selbst!
Und was ist nicht alles im vergangenen Jahrhunderte geschehen? Die große und Figur der Erde ist darin auf das mühsamste bestimmt; der Lauf der Gebirge und ihre Bildung ist darin erforscht und von einer großen Anzahl die Höhe gemessen; die Atmosphere ist abgewogen, ihre Natur, so wie die der Gewässer, ist analysirt; die Erde ist mehr als achtzehnmal umsegelt; ein neuer Welttheil, nebst seiner großen Insel, traten ans Licht; vom zwei und achtzigsten Grade des Nordens bis zum zwei und siebenzigsten des Südens sind wir vorgedrungen, und der Wahn eines großen Antarctischen Continents ward dadurch vernichtet; der große Ocean, das Südmeer, ist in den vielfachsten Richtungen durchsucht, und Tausende von Inseln darin entdeckt. Nordamerika ist im Westen aufs genaueste begränzt; von Canada aus fast bis an die scheinenden Berge, wissenschaftlich bereiset; das größte Reich der Erde ist nach allen Weltgegenden erforscht und seine Provinzen einzeln aufgenommen; von Pegu, Ava, Tibet besitzen wir sehr genaue Nachrichten; die bisher aus Handelsneid unbefahrnen Gewässer der Molucken
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haben fahrbare Straßen erhalten; dem größten Welttheile sind im Norden und Osten bei den Tschutkschis, den Kamtschadalen und den Mantcheous die Gränzen festgesetzt, ja, das lang gesuchte Land von Jeso ist fast gänzlich bestimmt, und die Weite der Trennung zwischen den beiden großen Continenten aufs schärfste gemessen.
Selbst Afrika, so sorgfältig auch das Klima, seine Wüsteneien, und die Intoleranz der Mauren es bisher dem Geographen verhüllte, sahe seinen Schleier von dreien Seiten aufgedeckt.
Was für Anstrengungen äußerte daneben Europa zum algemeinen Verbreiten der Kultur! Nicht bloß, wie vormals, durchwandern die Missionäre fast alle Theile der Erde; große Unterrichts-Anstalten sind für die Indier errichtet. In Rom vereinigte die Propaganda den Malayen mit dem Huronen, den Neger mit dem Brasilianer; und ihre Pressen machten sich durch mehr als viersig ausländische Charaktere verständlich. Paris unterrichtete Chinesen und viele andere Orientaler; Frankens Hallische Stiftung ward die hohe Schule für beide Indien; Neapel schuf eine eigene Lehranstalt für die Chinesen; und Irkutzk in Sibirien für die Japanesen. Mehrere Negern studierten in Holland und England, um dereinst ihr Vaterland aufzuklären; und selbst die kaum entdeckten Societäts-Inseln, und die Pelew-Inseln sandten zu ähnlicher Absicht, Omai
und Libu
nach London.
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so kam dann in hundertfacher Richtung eine erstaunliche Masse von Kenntnissen, von neuen nützlichen Produkten und von Erwerb und Handelsvortheiten in Umlauf, welche selbst am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts kaum denkbar seyn konnte. Als aber eine Nation groß und mächtig ward, die von Natur zu dem ersten Commerzialstaat unsers Welttheils gebildet, den Geist des Handels durch den weit edleren der geographischen Wissenschaften zu erhöhen wußte; und als ihr ein Monarch zu Theil ward, der sich selbst von diesem erhabenen Triebe jener Kenntnisse beseelt fühlte; da ward das kaum Glaubliche wirklich.
Wer steuerte denn aber unser Jahrhundert mit so hohen Kräften aus, um diesem edeln Impuls folgen und seine großen Thaten ausführen zu können? Wer sicherte, wer beflügelte seine Weltumsegler; wer leitete seine Forscher, seine Erfinder? Wer ließ diese den erstaunlichen Gewinn für die ganze Societät aus ihren Entdeckungen ziehen?
Schwesterlich schreiten die Wissenschaften Hand in Hand mit einander fort. Die Schiffkunst beruhete auf der Astronomie; diese ward durch die höhere Meßkunst, so wie durch die Optik und Mechanik vervollkommt. Die Naturlehre, in Gesellschaft der Chemie, verbesserte endlich die Kenntnis des Menschen und seiner Erhaltung auf weiten Reisen; und die Naturgeschichte entdeckte und ordnete die unzähligen Produkte, wodurch unser Handel und
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unser Fabrikwesen so weit über die Vorzeit hinausragen.
Wie das gemeinschaftliche Wachsthum dieser Wissenschaften zusammen genommen fortgieng, davon hier nur so viel als nothwendig ist, um zu übersehen, auf welche Weise das Reisen, sei es zu Lande oder zu Wasser in dem letzten Jahrhunderte so erstaunlich erleichtert ward.
Die höhere Kultur des sechzehnten und besonders des siebenzehnten Jahrhunderts, machte nach und nach der Unsicherheit unserer Landreisen ein Ende. Der Kaufmann und der Reisende überhaupt ward in Europa nicht mehr vom Raubschlosse herab geplündert; ohne stark bewaffnete Gesellschaften durfte er in der Fremde seinem Gewerbe nachgehen. Mögen die stehenden Heere oftmals großen Mißbrauch der obersten Gewalt herbeiführen, durch sie gewann dennoch unleugbar die innere Sicherheit der Staaten, der Heerstraßen und der Reisen.
Mit dieser Sicherheit wuchs nun zugleich der Verkehr von einem Lande zum andern. Die von einander entferntesten Gegenden rückten gleichsam hiedurch einander näher; tauschten Sitten, Gewohnheiten, Sprachen und Bequemlichkeiten wechselseitig gegen einander um.
Der Hang nach fremden Moden und Vergnügungen ließ manchen rohen Junker sein alltägliches stumpfsinniges Hetzen und Treibjagen mit einer Reise ins Ausland vertauschen; und der sich stets weiter entfaltende Geist des Forschens, trieb den unpopulären Stubengelehrten oftmals,
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aus dem Lehnsessel am Studierpulte, in die weite Welt.
Die Heerstraßen, welche das stolze Rom nur zum Unterjochen der Völker so kostspielig angelegt und so unzerstörbar gepflastert hatte, wurden von nun an gleichfalls für den Verkehr mit Moden und Ideen vermehret und verbessert.
Vormals hieng, wie noch jetzt unter dem nomadischen Araber, die Aufnahme des Reisenden fast allein von der ungewißsen Gastfreundschaft ab. Jetzt traten dagegen bald in jedem nicht unbeträchtlichen Orte bequeme Herbergen oder gar prächtige Hotels zum Empfange des Reisenden hervor.
Zum bessern Fortbringen der Menschen und der Waaren, erfand die Mechanik schicklicheres Fuhrwerk. Die niedrigen Frachtkarren der Alten verwandelte sie in hochräderige Lastwagen; man schaffte hiedurch weit großere Massen von Kaufmannsgütern schneller und mit minderem Aufwande von Zugthieren fort. Auch waren ihre zweirädrigen Wagen zum Wettlaufen wohl noch minder zum Reisen geschickt, als ihre halb verdeckten Kutschen (Carpenta) und ähnliche Fahrzeuge (Currucae), die alle mit einander bei niedrigen Rädern nicht einmal in Riemen hiengen, sondern geradezu auf der Erde lagen, ja oftmals nur mit Ochsen bespannt wurden. Dagegen rollt jetzt der Reisende in Kutschen, Chaisen und Kaleschen, gegen jedes Ungemach und jede Witterung geschützt
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auf Stahlfedern gewiegt, in die Fremde; durch die genaueste Einrichtung der Posten gewinnt er aber an Zeit, an Kosten und an Bequemlichkeit.
Selbst noch im zehnten Jahrhundert war das Band einzelner, entfernter Provinzen großer Staaten nur sehr locker geknüpft; sie hielten sich untereinander gleichsam für unbekannte Länder. Ein Abt von Clugny
, vier Meilen von Maçon, in der Bourgogne, antwortete, unter der Regierung von Hugo Capet
, auf die Einladung Bouchards
, Grafen von Paris, um nach Maur des Fossés zu kommen: er wage es, nicht so weit entfernte, ihm unbekannte Länder zu bereisen. Wie viel seltner besuchte der Nordländer von Kenntnissen noch vor 50 Jahren Italien? Misson Burnet
, Addison
und späterhin Keysler
, waren hiebei fast die einzigen Führer. Jetzt hat das letzte Decennium wohl ein Dutzend der belehrensten Wegweiser durch Italien hervorgebracht.
Unendlich schwerer hielt es indes, die Reisen über das Meer zu sichern, zu erleichtern und an Schnelligkeit zu vermehren. Dennoch sind sie es vorzüglich, wodurch unsere Wißbegierde am kräftigsten genährt wird; wodurch unsere Weltkenntnis und unser Handel im großen gewinnen. Die Ueberwältigung der Schwierigkeiten bei den Seereisen macht aber dem menschlichen Verstande weit großere Ehre, da sie die Ausbildung der tiefsten Kenntnisse erfordert. Zugestanden, das die Griechen und Römer uns in den schönen Wissenschaften und in mehreren
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der schönen Künste übertroffen haben; unvergleichbar ragen wir dagegen über sie hinaus, in allem dem was zum sichern und schnellen Verkehr eines Landes oder eines Welttheils mit dem andern nothwendig ist.
Ihre Schiffe schlichen gleichsam nur längst den Küsten hin. Hanno
's vieljähriges Bereisen der Gewässer von Afrika und die Expeditionen der Ptolomäer zeigen dies deutlich. Ja, ohne die vielen Inseln des mittelländischen Meeres hätten sie es wohl schwerlich gewagt, diese eingeschränkte Wassermasse zu durchkreutzen; denn bei ihrer dürftigen Sternkunde fehlte ihnen zugleich die Boussole. Ihr Instrument, Distanzen zu messen, beschränkte sich größtentheils auf drei gröblich zusammengesetzte und gröblich getheilte hölzerne Stäbe; und die ganze Gewandheit der höhern Dreiecksmeßkunst mangelte ihrer Mathematik.
Dagegen jetzt unsere treflichen Boussolen, unsere Quadranten, die so hoch verbesserten Sextanten des Hadley oder auch die ganzen Cirkel, wie das Universal-Theodolit des berühmten Ramsden. Bis auf wenige Sekunden mißt man mit ihnen bei jeder Neigung des Horizonts.
Wie unendlich stand nun gar ihre Zeittheilung an Genauigkeit gegen die unsrige zurück? Was vermochten ihre dürftigen Wasser- und Sanduhren, von denen es
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selbst höchst ungewiß ist, ob sie sich damals ihrer zu Wasser bedienten, gegen unsere Seeuhren oder Chronometer; und wie konnten sie die Geschwindigkeit des Schiffes bei ihrer Unkunde mit der Strömung, und da ihnen das Log mangelte, nur einigermasen schätzen?
Endlich ihre Schiffe selbst! Uebel berechnete, oft ungeheure Massen, fast gänzlich durch Menschenhände bewegt, denn die dürftigen, schlecht angebrachten Segel boten dem Winde wenig Fläche dar, und erlaubten ihm nur geringe Wirkung. Ein dreirudriges Schiff (Triremis) das gewöhnliche Kriegsschiff der Alten, was für einen Aufwand von Menschen bedurfte es allein, das Schiff durch drei Reihen über einander sitzender Ruderer zu bewegen? Wie unbequem die ganze Vertheilung zur schnellen Fahrt? Schiffe von mehreren Rängen von Ruderbänken über einander, oder, welches wahrscheinlicher ist, neben einander, hielten sie selbst nur für wenig brauchbar.
Das hölzerne Ungeheuer, die schwimmende Stadt des Ptolemäus von 40 Reihen der Ruder, welches 280 Ellen Länge hielt und 4000 Ruderer erforderte, um beweglich gemacht zu werden, verdient keines Vergleichs. Aber jene Kriegsschiffe (Triremes) halte man nun mit den unsrigen zusammen; wie sieht man ihnen sogleich, dem Aeußeren nach, die Unbehülflichkeit an; was für Gefahr
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bei hoher See, was für Unbequemlichkeit beim Wenden! Dagegen eine Fregatte im vollen Segel, oder gar ein ihr im Bau ähnliches Kriegsschiff von 100 Kanonen!
Mit ihnen und der drei monatlichen Provision gegen fünftehalb Millionen Pfund an Gewicht, segelt es binnen wenigen Wochen quer von der alten zur neuen Welt, und wird von einer einzigen Hand gerichtet. Die schmale keilförmige Figur zeigt auch sofort, wie geschickt es die Wellen theilt. Das ganze Heer der Segel, welche an allen Masten und stangen in vier Etagen über einander geschwellt stehen, bieten dem Winde eine erstaunliche, nach jeder Richtung zu wendende Fläche, und liegen den noch im schönsten Gleichgewicht; die banchige Höhlung des Körpers selbst ist dabei treflich berechnet, um, ohne der Schnelligkeit des Ganges beträchtlich Eintracht zu thun, jene erstaunliche Ladung beherbergen zu können. So hoch stieg die Schiffkunst in unserem Jahrhundert, das der Seefahrer fast jeden Wind zwingt, das Schiff nach jeder beliebigen Richtung fortzuführen. Wie groß erscheint jetzt nicht überhaupt der Mensch auf dem Meere, wie fast über alle irdische Wesen erhaben! Selbst in der düstern Nacht fliegt er mit der Schnelligkeit des Adlers über den weiten Ocean. Ein Paar Blicke zu den Gestirnen, auf die Boussole, auf die Seeuhr; ein Paar Formeln und Rechnungen sichern ihm seinen Weg. Fast
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haarscharf landet er mit der von ihm berechneten Flut auf dem einzigen Punkte der entferntesten großen Küste, die er sich zum Ziel wählte. Durch die hohe Genauigkeit der heutigen Angaben der Inseln, der Häfen, welche auf seinem Wege vorkommen, hält er gleichsam, wie bei Landreisen, Stationen, zum Ausruhen und Verproviantieren.
Auf dem Wasser mißt er die Küsten, die Höhen und Abstände mit derselben Genauigkeit, als stände er auf festem Lande; Cook, Vancouver und la Peyrouse entwarfen die Küsten von Neuholland, Nordwestamerika und Jeso so genau, wie Cassini die Gränzen Frankreichs.
Diese bewundernswürdigen Hülfsmittel erlaubten ein und demselben Seemann dreimal die Welt zu umsegeln, und an Länge des Weges, mehr als siebenmal den Umkreis des Erdballs zu durchreisen. Freilich war dies jener in seiner Art einzige Cook
; dennoch legte noch ein Handelsschiff, geführt von dem vorzüglichen Marchand, einen Weg um die Erde von 10731 deutschen Meiten in der geringen Zeit von 488 Tagen zurück.
Noch erstaunlicher zeigt sich aber die Macht der menschlichen Talente im widrigen (kontrairen) Sturm.
Auf der schwarzen Welle treibt der Orkan den Seemann in den thurmhohen, weißen Schaum gegen den düstern Himmel; das feste Gebäude kracht wider die Wassermauer, als wider einen Felsen. Dort von der Höhe
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herab zeigt sich ein wildes Feld voll Wasserberge und schreckender Tiefen. Blitzschnell gleitet das Schiff in letztere hinab. Den Wimpel des großen Masts schleudert oft ein Seitenstoß des Sturmes momentan fast ins Meer; aber der treflich berechnete Bau wirft sich sofort wieder ins Gleichgewicht. Die Winde läuten dabei in den schlaffen Tauen und in dem einzelnen Segel in schnellen Schlägen gleichsam die Todtenglocke. Dennoch sieht der kundige Seemann im hohen Meere, dem Orkan entschlossen
ins Gesicht, und wendet, damit er nicht zu weit rückwärts getrieben werde, mit Gefahr der gesamten Mannschaft, durch einen einzigen kühnen Ruck der Hand, die gewaltige Masse von vielen Millionen Pfunden herum. In solcher grauenvollen Lage enterte (1759) sogar der Engländer Hawk
das Schiff des französischen Admirals und ward sein Sieger!
Oftmals stürzt mit dem Orkan der Donner aus der Wolken herab; aber Franklins
Ableitungs-Kette weiset ihn ruhig und unschädlich zu Hause, zum Meere.
Wie vielartig sind dabei jetzt unsere Schiffe. Fast mit jedem neuen Zuwachse der menschlichen Kenntnisse und Bedürfnisse haben sich die Gattungen vermehrt. Zwar hatten die Alten gleichfalls mehrere Arten derselben. Sie theilten sich im Allgemeinen hauptsächlich in runde und lange Schiffe; erstere zur Fracht und zum Transport überhaupt, letztere zum Kriege. Von diesen zusammen genommen gab es Kaufmannsschiffe, Fahrzeuge zur
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Fischerei, und kleinere Lastschiffe; Kähne und Boote dann Avisschiffe oder Jagden, Kaper- und eigentliche Kriegsschiffe (Nav. Mercatoriae, Piscatoriae, Cymbae, Scaphae, Lembi, Cursoriae, Celotes, Liburnicae, Aphractes, Cataphractes, Biremes, Triremes).
Sicher sind die Neueren den Alten selbst in jenen beiden Hauptgattungen an Verschiedenheit überlegen; wenn man vor allem die Galeeren, die eigentlichen Ruderschiffe der jetzigen Zeiten, mit in Anschlag bringt. Zugleich führten uns die den Alten für ihre beschränkte Schiffahrt unbekannten Endzwecke zu neuen Modifikationen im Schiffbau. Der Römer sandte keine Schiffe in den hohen Norden, wo nur das Eisboot den Weg bahnt; auch ging seine Spekulation nicht auf geographische Entdeckungsreisen; höchstens bei dem Carthaginenser zeigte sich unter Hanno
's Führung etwas Aehnliches. Aber in unsern letztern Zeiten richteten sich Cook und andere Weltumsegler ihre Schiffe zu ihren großen Unternehmungen besonders ein. Um dem Seegewürme zu widerstehen, wurde der ganze Schiffsboden mit kupfernen Nägeln bedeckt, oder dafür gänzlich mit kupfernen Platten beschlagen. Ja England bauete sogar Schiffe ganz von Kupfer, da wiederum andere gänzlich von Leder zusammengesekt werden, wozu wahrscheinlich die ähnlichen der Alten, und besonders die der Grönländer und ihnen verwandten Nationen, die Veranlassung gaben.
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Wiederum erfand man in den amerikanischen Freistaaten Schiffe, womit man durch Räderwerk oder durch eine Dampfmaschine, gegen den Strom segelte. Der Engländer Day
brachte sogar ein Fahrzeug zu Stande, womit man sich in die Tiefe des Wassers hinabsenken und sodann wieder in die Höhe steigen konnte. Nur ein unglücklicher Zufall, nicht aber der fehlerhafte Bau der Maschine, verursachte, nach mehreren glücklichen Beweisen seiner Kunst, dadurch den Tod des seltenen Erfinders.
Das Schiff, auf welchem der berühmte Bligh, welcher auf eine fast mirakulöse Art dem Hungertode entgieng, nachmals den Brodbaum aus dem Südmeere nach Westindien führte, glich einem schwimmenden Garten; eine ganze Plantage jenes nahrungsreichen Baums gieng darauf von einer Welt zur andern; da la Peyrouse
hingegen den Südländern wieder eine Baumschule von Orangen, Citronen und andern Bäumen des wärmeren Europa zuführte. So waren auch die Entdeckungsfahrzeuge der Engländer und Franzosen, in welchen unser Hausvieh gleichfalls jenen Gegenden zugebracht ward, hiezu eingerichtet; auch bauet der Sklavenhändler seine Behälter zum Transport der unglücklichen Schwarzen, nach einem besondern Plan.
Dieses Besiegen der furchtbarsten Elemente, und diese Wunderwerke der Schiffsbaukunst, alles dieses zusammen genommen ist man aber der höheren Geometrie schuldig. Niemanden wird es daher wohl unangenehm seyn, einige der seltnen Menschen hier wenigstens genannt zu
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finden, deren tiefes Denken die Haupttheile des Seewesens zu seiner jetzigen, in der Vorzeit ungeahneten Höhe hinaufführte.
Hatten Cassini
, Wargentin
, Bailly
und la Grange
die Theorie der Jupiterstrabanten zur Bestimmung der Länge sehr vervollkommnet, so war die für die Meereslänge ungleich bequemere Methode, die Distanzen des Mondes von der Sonne oder von bekannten Fixsternen seit Newton
durch Tobias Maier
, Clairaut
, Euler
, Maskelyne
und mehrere lebende Astronomen, worauf Europa stolz ist, zu einer bewundernswürdigen Genauigkeit gebracht, und fast zu gleicher Zeit war durch die beinahe unwandelbaren Seeuhren (Timekeeper) von Harrison
, Berthoud
, le Roi
, Mudge
und Emery
die Länge für jede Lage des Schiffes bestimmt. Und so gab die durch die zuvor berührten Meßinstrumente leichter zu findende Breite, hiemit zusammen genommen, den Ort des Schiffes auf das schärfste an. Die Linie, oder der Gang des Fahrzeugs, welches weder auf dem Mittagskreis noch auf dem Aequator segelt, die Lorodromie hatte aber
zuvor unser große Leibniz genauer bestimmt. Halley
, Euler
, Wilke
, le Monnier
, Churchman
u. a. vervollkommeten die Theorie des Magneten.
Durch Newton
, Maclaurin
, die Bernoulli
's, Lalande
, und La Place
kam nun eine genaue Theorie der Ebbe und Fluth zu stande. Das Aus- und Einlaufen wird hiedurch dem Schiffer für jeden Zeitpunkt
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sicher angegeben, und oftmals entgeht er dadurch, so wie durch die richtige Ortsbestimmung und die der Figur der Erde, den gefährlichen Riefen, Sandbänken und Klippen.
Die höhere Mechanik eines Huygens
, Eulers
, Bouguer
, d'Alemberts
, Ulloas
und Chapmanns
entwarf den treflichen Bau des Schiffes, der bei größtmöglichster Belastung, des schnellesten und sichersten Ganges und bequemsten Richtung fähig bleibt.
Um diese Vortheile dem Seemann noch wichtiger zu machen, sorgten nun die Naturlehre und die Chemie daneben für seine Gesundheit. Die Luft stockt in den eingeschlossenen Abtheilungen des Schiffes; sie wird zugleich von den steten Ausdünstungen der eng zusammen gedrängten Menschen und Waaren höchst gefährlich; und das Wasser, welches sich in dem Theile des untersten Bodens des Schiffes, wohin die Pumpen nicht reichen, sammlet (Bilge Water) vermehrt diese Schädlichkeit. Die zweite Giftquelle für den Seemann auf langen Reisen entspringt aus dem Faulen des Wassers und Verderben des Proviants der Schiffe.
Diese beiden Ursachen erzeugen zusammen den Scharbock, die faulichten Fieber und die Ruhr. Sie wüthen hiedurch unter dem Schiffsvolke wie der blutigste Krieg.
Der Admiral Boscawen
war es, der zuerst mit dem Ventilator des Hales
die Luft der Schiffe reinigte, und dieser Methode folgte bald die des Schweden Triewald
nach.
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Durch das Lüften der beweglichen Theile des Schiffs, i. B. der Hangematten, und vorzüglich durch das Durchräuchern der Schiffe mit Schwefel, mit Pech, oder noch zweckmäsiger mit Säuren und Schießpulver, widerstand man der Fäulnis noch kräftiger; man vertrieb zugleich die selbst Dinte verzehrenden Kakerlacken (Blatta europaea) und den Mehlwurm.
Das Bekanntwerden der Gasarten entdeckte den hohen Werth der Gährung gegen den Skorbut. Das deutsche Sauerkraut, die frische Infusion von Malz, zu Zeiten noch mit Zucker versetzst, zeigten sich als die mächtigsten Widersacher jener Krankheit. Der französische Arzt Roublet
fügte ihnen bei der letzten Weltumseglung mit großem Erfolge die Sandbäder hinzu.
Der Mangel frischer kräftiger Nahrung, in welchem Peyrouse
, als wäre er ein ächter Anhänger des Brownschen Systems, den einzigen Feind des Seemanns sieht, ist durch die eingekochten Fleischbrühen, (die Bouillon Tafeln) beträchtlich gemindert; der Mangel des frischen Wassers aber, ward im höhern Norden durch aufgethauetes Eis, für alle Zonen hingegen durch Irwins Methode das Seewasser trinkbar zu machen, fast gänzlich gehoben. Das Feuer zur Küche des Matrosen dient hier zum Destilliren, zum Reinigen des Wassers von fremden am meisten widerstehenden Theilen. Endlich haben die Entdeckungen und genauen Bestimmungen der vielen Inseln und Landungsplätze ihren höchsten Werth dadurch
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daß sie den Reisenden häufig gesundes Wasser und frische Lebensmittel darbieten. Die Wirkung dieser Hülfsmittel zusammen genommen, übertraf denn auch alle Erwartung. Vormals war die Sterblichkeit unter den Seefahrenden so groß, das man auf der kurzen Reise von Holland bis nach Ostindien, ja oft bis zum Cap der guten Hoffnung, den zehnten Mann für todt rechnete.
Jetzt verlohr Cook
bei seiner zweiten Reise um die Welt, von 193 Mann, während drei Jahren und 18 Tage, nur vier Mann; drei derselben tödtete der Zufall; den vierten aber eine schon aus England mit genommene Krankheit. Bei seiner dritten Weltumseglung zählten die beiden Schiffe binnen 4 Jahren und 2 Monaten nur 5 Todte von 192 Mann; hievon hatten drei abermals krank ihr Vaterland verlassen; auf Rechnung der Reise fiel also nur ein Mann!
La Peyrouse
fand nach einer zweijährigen Reise bei seiner Ankunft in Botany Bay auf Neuholland nur einen einzigen Kranken unter 199 Menschen; Marchand
verlohr sogar, während seiner zweijährigen Reise um die Welt nur einen einzigen Mann. Die Sterblichkeitsrechnung zählt, von 100 Menschen in der Blüthe ihres Alters, auf dem festen Lande, in 2 Jahren drei Todte.
Unsere Methoden, die See zu bereisen, haben also die Natur gleichsam selbst besiegt. Man umsegelt die Erde, um eines längeren Daseyns gewisser zu seyn !
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Die Vereinigung der wichtigsten Talente schikte aber nicht bloß das Leben und die Gesundheit auf dem Meere; jede Art von Verlust war dabei vermindert; denn die Wahrscheinlichkeits-Rechnung hatte die Lehre der Assekuranz vervollkommnet.
Uns schreckt weder die größte Entfernung, noch der ehemals so gefürchtete Aequator; und dies ist gänzlich das glorreiche Werk der ernsthaften Kenntnisse.
Durch sie allein ist nun dem Kaufmann, dem Spekulanten und dem Schiffsreeder sein Kapital gesichert. Sie füllen dem ersten die Magazine mit den Waaren Indiens, und allen verscheuchen sie die nächtlichen Sorgen.
Für den reichen Schlemmer lassen sie ununterbrochen neue Befriedigungen seines abgestumpften Gaumens hervorgehen. Unsere Schönen verdanken ihnen die Perlen und Juwelen beider Welten, die köstlichen Mousseline und die reichen Schawls; die glänzendste Seide und die feinste Schminke; den Moschus, den Ambra, und den alles überduftenden Otter of Roses, kurz, das ganze Heer der geborgten Reize, wodurch sie oftmals noch despotischer herrschen, als durch die, welche ihnen die Natur verliehen hat. Diese drei Klassen unserer Mitbürger sollten daher jenen höheren Wissenschaften, wäre es auch nur als unbekannten wohlthätigen Göttern, Hekatomben opfern, und dabei von innigstem Danke durchdrungen, ausrufen:
„Was wären wir ohne Euch!„